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Leitartikel: Nährboden für Terrorismus

Von Martin Gehlen

red.politik@mainpost.de

 |  aktualisiert: 16.12.2015 03:26 Uhr

Das lukrative Geschäft mit dem Sommer an Weihnachten ist zerstört. Selbst die russische Ferienbranche streicht das Rote Meer für die kommenden Monate aus ihren Prospekten. Europäische Urlauber sehen sich nach anderen Orten um. Der Absturz des russischen Charterflugzeugs – seit Dienstag ist Russland überzeugt, dass es sich um einen Terroranschlag gehandelt hat – könnte den ägyptischen Tourismus in die schwerste Existenzkrise seit Jahrzehnten stürzen. Dabei schafft er wie kaum eine andere Branche Arbeit. In der populären ägyptischen Baderegion fällt mit einem Schlag mehr als die Hälfte des Geschäftes weg.

Denn das Vertrauen in Ägyptens Führung, seine Sicherheitsstrategie und Integrität ist schwer erschüttert. Längst geht es nicht mehr nur um punktuelle Schwachstellen an einzelnen Flughäfen. Es geht auch um Ägyptens Machtelite insgesamt, ihre Fähigkeit, sich den Realitäten zu stellen und die eigenen Versäumnisse bei dem Sinai-Attentat tatsächlich einzugestehen.

Wirklichkeitsverlust, Irreführung und Selbstbetrug haben sich im politischen Leben Ägyptens ausgebreitet wie eine Epidemie. Den Takt an der Spitze schlägt Ex-Feldmarschall und Präsident Abdel Fata al-Sissi. So regelmäßig wie kaltschnäuzig bestreitet er, dass es in seinem Land Massenfolter, politische Gefangene oder Justizwillkür gibt. Unbeirrt behauptet er, die Meinungsfreiheit in Ägypten sei so groß wie noch nie, die Armee habe den Sinai im Griff und den Terrorismus so gut wie ausgerottet.

Sein Außenminister schilt derweil regelmäßig westliche Medien und jüngst auch westliche Fluggesellschaften. Der von ihm feierlich versprochene Abschlussbericht zur Tragödie der mexikanischen Touristen, die vor zwei Monaten in der Wüste drei Stunden lang von Kampfhubschraubern beschossen wurden, lässt weiter auf sich warten. Stattdessen ereifern sich die Regime-Medien über angebliche ausländische Verschwörungen, die Ägypten zerstören wollen. Szenen einer Nation, die sich keinen Reim mehr machen kann auf sich selbst und das, was sich in ihrem Inneren abspielt.

Dem Land am Nil fehlt der zentrale Antrieb allen gesellschaftlichen Fortschritts, die Fähigkeit zur Selbstkritik und zur Selbstkorrektur. Die Reichen machen es vor, die kleinen Polizisten auf den Ferienflughäfen machen es nach. Jeder sucht nur noch seinen eigenen Vorteil – so gut er kann und so weit sein Radius reicht. Das Wohl des Ganzen gerät völlig aus den Augen. Und so dreht sich an den Flughafenkontrollen vieles um das Trinkgeld, nicht jedoch alles um die Sicherheit der Besucher.

Sicherheit heißt mehr als funktionierende Scanner auf Ferienflughäfen. Sicherheit ist das Gefühl von Bürgern und Besuchern, vor Staatswillkür geschützt zu sein und nicht ständig mit einem Bein im Gefängnis zu stehen. Zur nationalen Sicherheit gehört auch der Wille der Mächtigen, die Rechte der Bevölkerung zu respektieren.

Anderenfalls haben – wie in Ägypten – immer mehr Unterdrückte und Misshandelte Rechnungen offen. Sie sinnen auf Rache und werden militant, weil sie nichts mehr zu verlieren haben. Schlimmer kann es nicht mehr kommen, lautet ihr Lebensgefühl. In solchen Zuständen gedeiht der Terrorismus, auch weil sich leicht Helfershelfer finden. Wie auf dem Flughafen von Sharm el-Sheikh.

 
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