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Leitartikel: Moderner Ablasshandel
Von Andreas Kemper andreas.kemper@mainpost.de
 |  aktualisiert: 16.03.2014 18:49 Uhr

Steuerstraftäter haben gegenüber anderen Straftätern ein Privileg: Sie können sich nachträglich ehrlich machen. Was bei keinem anderen Vermögensdelikt möglich ist, etwa bei Diebstahl oder bei Betrug, bei Steuersachen drückt das Gesetz ein Auge zu.

Mit der sogenannten strafbefreienden Selbstanzeige macht der Steuersünder reinen Tisch, zahlt seine Steuerschuld nach plus einen Strafzuschlag, wenn es sich um höhere Summen handelt – und das Verfahren gegen ihn wird eingestellt. Im für ihn besten Fall wird niemand jemals erfahren, dass er dem Staat, der Allgemeinheit Geld vorenthalten, man könnte auch sagen, gestohlen hat. Das Ganze ist im Grunde genommen ein Deal, eine Art moderner Ablasshandel. Wenn das Geld des Sünders im Kasten klingt, dann freut sich der Staat über die zusätzlichen Einnahmen und spricht das „te absolvo“ – und die Weste des Sünders ist wieder rein.

Die Summen, um die es geht, sollen gewaltig sein. Rund 60 000 Selbstanzeigen soll es seit 2010 gegeben haben, darunter auch Hunderte von Prominenten. 85 Prozent der Selbstanzeigen beruhen auf Schätzungen und die müssen laut Gesetz eher üppig ausfallen als zu knapp. Nach unten korrigieren geht immer, nach oben wird es strafrechtlich schwierig, ist doch die Voraussetzung des Deals, dass vollständig reiner Tisch gemacht wird. Die Rede ist von Milliarden von Euro, die der deutsche Fiskus auf diese Weise eingenommen hat.

Das ist ja schön. Aber es bleibt ein großes Unbehagen. Auch in der Bevölkerung: 66 Prozent der Deutschen sind laut einer Umfrage für das Nachrichtenmagazin „Focus“ für eine Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige. Und auch die Politiker – übrigens aller Parteien – spüren dieses Unbehagen. Deshalb wird jetzt nach dem Fall Uli Hoeneß auch erneut über eine Verschärfung des Instrumentariums diskutiert.

Doch eine Verschärfung beseitigt nicht das Grundproblem: Unser Rechtssystem kennt keinen Freikauf. Klar, die Selbstanzeige einer Tat, die sonst unentdeckt geblieben wäre, wird ein Richter immer als strafmindernden Umstand im Sinne des Angeklagten werten. Ein Geständnis, tätige Reue, das sind Dinge, die wir aus den Gerichtssälen kennen.

Aber eine vollkommene Straffreiheit, allein wenn der Straftäter dem Staat zahlt, was dem Staat ohnehin zusteht, das passt vielleicht in eine Zeit, als Steuerhinterziehung noch ein Kavaliersdelikt war. Doch die Zeiten haben sich geändert. Jedes Weihnachtsgeschenk für einen Mitarbeiter wird heute darauf abgeklopft, ob es sich hier nicht um einen zu versteuernden geldwerten Vorteil handelt. Jedes Geschäftsessen wird penibel abgerechnet. Großzügig ist der Staat nur da, wo ihm das zusätzliche Einnahmen verspricht.

Uli Hoeneß hat am Freitag bekanntgegeben, dass er keine Rechtsmittel einlegen wird gegen seine Verurteilung zu dreieinhalb Jahren Gefängnis. Diese Woche wird die Staatsanwaltschaft ihrerseits erklären, ob sie in Revision geht. Es wäre schon spannend zu sehen, wie die Richter des Bundesgerichtshofs das nun festgestellte Scheitern dieser Selbstanzeige beurteilen. Doch Hoeneß wollte offensichtlich lieber ein Ende mit Schrecken als einen Schrecken ohne Ende – eventuell mit einem für ihn noch schlimmeren Ausgang. Die Debatte über das Instrument der strafbefreienden Selbstanzeige wird damit aber nicht beendet. Im Gegenteil.

 
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