Der Wähler ist ein merkwürdiges Wesen. Mit den Jahren hat er zwar gelernt, nicht alles zu glauben was Wahlkämpfer ihm in ihren Programmen versprechen. In dem Moment jedoch, in dem eine Partei ihn in entwaffnender Offenheit mit der Wirklichkeit konfrontiert, hat sie schon fast verloren. Dann wird aus einer guten Absicht ein politischer Bumerang.
Wie so etwas enden kann, weiß niemand besser als Angela Merkel. Ihre Ankündigung, nach der Wahl die Mehrwertsteuer anzuheben, hätte sie vor acht Jahren fast die Karriere gekostet. Wochenlang erregte die SPD sich damals über die „Merkel-Steuer“ – und am Ende lag die Union, die schon mit zehn Prozentpunkten geführt hatte, mit mageren 35 Prozent nur noch einen Hauch vor den Sozialdemokraten. Kanzlerin wurde ihre Kandidatin dann trotzdem, deren Politik der neuen Ehrlichkeit aber hatte der Wähler nicht wirklich honoriert. Im Gegenteil.
Auch deshalb versuchen es CDU und CSU diesmal wieder mit der klassischen Methode. Höhere Renten für Mütter, mehr Kindergeld und ein höherer Freibetrag, dazu noch eine Milliarde mehr für den Straßenbau und eine entschärfte Steuerprogression: Gut und gerne 30 Milliarden Euro kostet das Angebot der C-Parteien für die nächste Legislaturperiode.
Anders als vor acht Jahren blendet die Union diesmal jedoch die F-Frage aus – die nach der Finanzierung. Hier hat sie außer dem eher allgemeinen Bekenntnis zur soliden Buchführung und dem vagen Hinweis auf Umschichtungen im Haushalt, mit denen sich neue Spielräume schaffen ließen, wenig Handfestes zu bieten. Für eine Neuauflage der Großen Koalition wäre das kein Hindernis: Sie würde zur Not wohl den Spitzensteuersatz erhöhen. Mit der FDP dagegen wäre das schon schwieriger, wenn nicht unmöglich.
Vermutlich reagiert FDP-Vorsitzender Philipp Rösler auch deshalb so verschnupft: Von der Mütterrente über einen Quasi-Mindestlohn bis zur Mietbremse finden sich im Programm der Unionsschwestern für seinen Geschmack zu viele Themen, auf die Konservative und Sozialdemokraten sich bei Bedarf schnell einigen können. Das macht die Liberalen nervös.
In den drei Monaten bis zur Wahl allerdings geht es darum allenfalls am Rande. In der Kampagne der Union kommt zuerst Angela Merkel – und dann lange nichts.
Ihre Popularitätswerte stehen in krassem Gegensatz zu denen ihrer schon etwas lustlos wirkenden Koalition, da wäre es geradezu fahrlässig, nicht mit diesem Pfund zu wuchern.
Andererseits hat die Wahl in Niedersachsen gezeigt, wie schnell sich auch ein beliebter Ministerpräsident in der Opposition wiederfinden kann. Deshalb, vor allem, wildert Angela Merkel gelegentlich im Revier der Sozialdemokraten. Im Zweifel, so die Botschaft dahinter, bekommt der Wähler bei ihr ja beides: Sie als Kanzlerin – und dazu eine nicht mehr ganz so kühle, irgendwie gerechtere Politik, eine „SPD light“ gewissermaßen. Nicht einmal zu einer Koalitionsaussage zugunsten der FDP ringt sie sich diesmal durch.
Nach acht Jahren im Amt hat Angela Merkel sich weit über das Klein-klein der Tagespolitik erhoben und in ihrem präsidialen Stil schier unangreifbar gemacht. Allzu sicher fühlen allerdings sollte sie sich nicht: Bei den letzten Bundestagswahlen hat die Union jedes Mal schlechter abgeschnitten, als es die Umfragen zuvor erwarten ließen.