Der Auslöser war die Griechenland-Krise. Inzwischen hat sich die Debatte um die Zukunft Europas aber nahezu verselbstständigt. Die Forderungen könnten nicht unterschiedlicher sein. Großbritannien droht mit einem Brexit, also einem Ausstieg aus der EU, Griechenland unterläuft derzeit einen schmerzhaften Radikalreformkurs, um den ungewollten Grexit zu vermeiden. Dazwischen erschallen die Rufe derer, die mehr Europa fordern, um Krisen wie diese besser zu meistern. Gerade erst haben sich der französische Präsident François Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel für eine tiefere Eurozone, eine Union in der Union, starkgemacht. Ein Eurofinanzminister mit eigenen Ressourcen gehört zu dieser Idee, ebenso wie die eines eigenen Parlaments bis hin zu einer Wirtschaftsregierung.
Umso erstaunlicher scheint – zumindest auf den ersten Blick – der Vorschlag von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, die Kompetenzen der Kommission zu verringern.
Doch schaut man sich die Entwicklungen der vergangenen Wochen und Monate an, so ist Schäubles Idee plausibel: Ob nun in der Griechenland-Krise oder im Ringen um eine Lösung für den Flüchtlingsstrom – immer wieder hat Kommissionschef Jean-Claude Juncker mit eigenmächtigen Vorstößen seine europäische Idee vorangetrieben. Denn die Kommission sieht sich mehr und mehr als eine europäische Regierung – und agiert als solche.
Da scheint die Frage berechtigt, ob eine solche EU-Spitze noch in der Lage ist, gleichzeitig eine unabhängige Position einzunehmen – nämlich die der Hüterin der Verträge. Oder könnte diese Aufgabe nicht besser eine unabhängige Behörde übernehmen? Mit der teilweisen Abgabe von Kompetenzen ließe sich zudem ein viel größeres Problem lösen: Viele EU-Länder empfinden den Druck aus Brüssel als übermächtig. Eine Kommission, die die Überwachung des Regelwerks einer Kontrollstelle überlassen würde, könnte leichter selbst neue Gesetzesvorschläge in Parlament und Rat einbringen – als Regierung agieren.
Zwar hat Juncker nicht unrecht, wenn er sich auf die Legitimation der EU-Bürger beruft, um seine politischen Leitlinien durchzusetzen. Doch zugleich weist Schäuble darauf hin, dass die Kommission in der Griechenland-Krise nicht über Gelder entscheiden kann, die zum allergrößten Teil von den Eurostaaten bereitgestellt werden.
Es ist ein Dilemma, das aus einer vermeintlichen Lösung entstanden ist. Die sogenannten Opt-out-Optionen, die man Großbritannien und Dänemark eingeräumt hat, wurden damals als einzige Chance betrachtet, beide in der Union zu halten. Ein Auseinanderbrechen der europäischen Gemeinschaft wollte und will man bis heute vermeiden. Doch zu welchem Preis? Die einen sind Teil der Eurozone, die anderen noch nicht, wieder andere werden es niemals sein. Es ist dieses Europa der mehreren Geschwindigkeiten, das der EU immer wieder Stolpersteine in den Weg legt. Immer wieder haben einzelne Länder den Integrationsprozess der „immer enger vereinten“ Gemeinschaft, wie es in der Präambel der EU-Verträge heißt, aufgehalten.
Dabei zeigen die aktuellen Entwicklungen, dass Europa einen starken Zusammenhalt braucht. Nationale Lösungen gibt es für Herausforderungen wie den Flüchtlingsstrom ebenso wenig wie für die Gefahr des Terrorismus. Sie kennt keine Landesgrenzen. Eine stärkere Union könnte Antworten bringen.