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Leitartikel: Lausiges Wetter, lausiges Klima
Von Carolin Kreil carolin.kreil@mainpost.de
 |  aktualisiert: 23.12.2015 12:06 Uhr

Heute schon übers Wetter geredet? Es ist das emotionale Thema schlechthin. Seit einem frühlingshaften Weihnachten ist Deutschland in einen extrem kalten, extrem langen und extrem trüben Winter geschlittert. Es folgte ein extrem kaltes, extrem nasses und extrem trübes Frühjahr.

Jetzt zum meteorologischen Sommerbeginn steht das halbe Land bis zu den Knien im Wasser, den Bauern säuft die Saat ab, die Schifffahrt ist eingestellt, Gastwirte in Ausflugsgebieten raufen sich die Haare. Frühlingsveranstaltungen wie das Africa Festival in Würzburg leiden oder werden ganz abgesagt. Spielt nur das Wetter verrückt oder ist das die Klimaveränderung?

Die hitzige Debatte ist wieder einmal ausgebrochen. Um es mit Horst Schlämmer („Isch hab Rücken, Schätzelein“) zu sagen: Wir haben gegenwärtig Wetter und nicht Klima. Fakt ist, es herrscht eine Wetterlage wie beim Pfingsthochwasser 1999, es war der zweitnasseste Mai seit 1881 und im finnischen Lappland, wo gerade der Schnee schmelzen sollte, aalen sich die Menschen bei fast 30 Grad und bestem Badewetter. In den Pyrenäen wurden die Skipisten wiedereröffnet.

Zum Klimatrend werden solche Phänomene erst, wenn sie sich über 30 Jahre statistisch häufen. Aber das kann man erst im Nachhinein beurteilen. Insofern ist es sträflich und dumm, Untergangsfantasien durch den Klimawandel heraufzubeschwören. Genauso dumm und sträflich aber wäre es, die Prognosen der Klimaforscher als falsch abzukanzeln und in allem eine Verschwörung zu wittern, wie es Skeptiker gerne tun. Seriöse Wissenschaftler beteiligen sich nicht an diesem Streit. Das Thema taugt nicht für reißerische Schlagzeilen, weil die Zukunft noch nicht geschrieben ist.

Jene 700 Natur- und Sozialwissenschaftler sowie Politiker, die sich in Potsdam zum ersten Mal zu einer fachübergreifenden Konferenz trafen, sind sich der Komplexität und der Tragweite des Themas bewusst. Sie sind sich bewusst, dass Entwicklungen nicht linear eintreten müssen. Sie wissen, dass sich die Erwärmung jetzt scheinbar verlangsamt, ohne dass sie Entwarnung geben könnten. Sie versuchen gerade erst, das Thema aus den Fängen der Propagandisten zu befreien und seriöse Aufgabenlisten zu entwickeln.

Sie diskutieren nicht, ob es eine von Menschen verursachte Erderwärmung gibt, sondern wie sich deren Folgen abschätzen lassen. Klimaerwärmung heißt leider nicht, dass man sich am Würzburger Strand bei bestem Wetter und Wohlstand wie am Mittelmeer fühlt, sondern sie beeinflusst Luft- und Wasserströmungen und damit Wetterlagen. So könnte es wärmer werden, aber mit mehr Extremwetter wie Gewitter, Regen oder Dürren. Mit hohen Schäden für Privatleute, Bauern und Unternehmen – den Wohlstand insgesamt.

Der Erde sind solche Entwicklungen wurscht, sie ist an Veränderungen gewöhnt. Ein paar Kontinente, ein paar Inseln, ein paar Lebewesen mehr oder weniger – so ist das halt, wenn man Millionen Jahre im All herumschwirrt. Wer etwas zu verlieren hat, sind wir Menschen. Der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Hans Joachim Schellnhuber, als Gastgeber der Konferenz, resümierte: „Alle Staaten sind verletzlich.“ Die Herausforderung sei, sich an den Klimawandel anzupassen.

Überspitzt ausgedrückt: Das Wetter können wir nicht ändern, die Klimafolgen aber vielleicht ein bisschen weniger lausig gestalten.

 
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