Wer am Stammtisch oder beim Abendessen mit Freunden eine Debatte vom Zaun brechen will, der kann über Kriege und Flüchtlinge reden – oder über TTIP. Sofort kommen Ängste auf. Sofort stehen apokalyptische Szenarien im Raum. Es geht um die Frage: Werden wir in Zukunft noch so leben können wie jetzt – in relativem Wohlstand, in Frieden, in sozialer Sicherheit?
Eigentlich geht es bei TTIP und CETA, den geplanten Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada, nur um Grundsatzverträge, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg schon über zweihundert Mal zwischen Staaten und Staatengemeinschaften geschlossen wurden. Hauptzweck dieser Verträge war, Unternehmen aus Europa oder den USA Sicherheit zu geben, wenn sie ihr Geld in politisch instabilen Ländern der Dritten Welt investieren. Für die Liberalen waren die Verträge ein Instrument der Wirtschaftsförderung, die Linken kritisierten sie als Mittel imperialistischer Politik.
Die Aufregung und der Protest gegen TTIP in Europa hat ihre Wurzeln in dieser linken Kritik. Wenn so ein Abkommen zwischen demokratischen Staaten wie den USA und Kanada auf der einen und den Europäern auf der anderen Seite geschlossen werden soll, wer ist dann der Unterdrücker, wer der Unterdrückte? Die Antwort von ganz links und übrigens auch von ganz rechts folgt einem alten Vorurteil: Die USA wollen den Europäern ihre Regeln, ihren „American way of life“ aufzwingen.
Zusätzlich befeuert wurde diese Kritik noch durch die Geheimniskrämerei, die um die Inhalte der Vertragsverhandlungen gemacht wurde. Die EU-Kommission, die in Europa ohnehin als Keimzelle neoliberaler Politik gilt, hielt sich mit Informationen lange zurück und bis heute müssen demokratisch gewählte Volksvertreter in allen Parlamenten darum kämpfen, zumindest Einsicht in die entscheidenden Dokumente zu erhalten. Reden dürfen sie darüber bisher nicht.
Den TTIP-Kritikern verschaffte das in der öffentlichen Auseinandersetzung einen unerwarteten Vorteil. Ihr Protest stieß zunächst kaum auf Widerspruch und bewirkte schließlich, dass das Vertragswerk abgespeckt wurde und sich nun offenbar auf jene Ziele beschränken soll, die eine Mehrheit im EU-Parlament – also Konservative und Sozialisten, vielleicht sogar die Grünen – mittragen können. Sozialstandards, Umwelt- und Verbraucherschutz, Bildung, öffentliche Daseinsvorsorge, Kulturpolitik – all das, was den Europäern und ganz besonders den Deutschen lieb und teuer ist, soll geschützt bleiben.
Wenn es so kommt und sich TTIP und CETA auf den einvernehmlichen Abbau unnötiger Handelshemmnisse beschränken, dann ist es ein Erfolg für die Demokratie. Auch das antiamerikanische Vorurteil wäre widerlegt. So, wie es jetzt von offizieller Seite dargestellt wird, sind die Freihandelsabkommen Verträge zwischen gleichberechtigten Partnern.
Worüber bisher aber kaum geredet wird, ist die Außenwirkung dieser Abkommen. Freihandel innerhalb einer Region bedeutet in aller Regel auch Abschottung nach außen. Fairer Handel ist in der Welt noch weitaus wichtiger als Freihandel. Das sagen DGB, SPD, Grüne und Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU). Die Folgen der Globalisierung, die wachsende Ungleichheit, sind dramatisch. Hier käme es sehr darauf an, dass die Staaten, die sich der westlichen Wertegemeinschaft verbunden fühlen, gemeinsam als Partner auftreten und handeln.