Am Freitag, den 1. Oktober 1982, heute vor genau 30 Jahren, wurde Helmut Kohl im Deutschen Bundestag zum Kanzler gewählt. Er selbst versprach eine „geistig-moralische Wende“. Seine Gegner beschimpften ihn als „Birne“ und „Provinzpolitiker“. Doch Kohl ist seinem Anspruch gerecht geworden: Er ist in die Geschichte eingegangen und er wird ein paar mehr Seiten im Geschichtsbuch füllen, als er selbst vor 30 Jahren zu hoffen wagte.
Doch der Kanzler der Einheit und der große Europäer lassen sich nicht vom Kohl der Spendenaffäre trennen. Kohl gibt es nur im Ganzen. Das eine gehört zum anderen und ist im System Kohl angelegt. Man würde ihm nicht gerecht und nähme ihn nicht ernst, sähe man nur die großen Verdienste und nicht auch seine Fehler.
Helmut Kohl hat in seiner langen Amtszeit und danach vieles falsch gemacht. Doch die wichtigen Dinge, die hat er richtig gemacht. Er war einer der letzten Staatsmänner mit einer Vision. Es war die Vision vom geeinten Europa der Vaterländer, das weltweit als Vorbild für Frieden und Wohlstand dient. Daran hat er 16 Jahre erfolgreich gearbeitet. Und dann hatte er das Glück, zum richtigen Zeitpunkt Bundeskanzler zu sein. Die Einheit der Deutschen war in Reichweite gerückt. Helmut Kohl nutzte diese Chance mit großem diplomatischen Geschick und mit noch größerer Entschlossenheit. So wurde er zum Vater der Einheit, zu einem Monument der Geschichte.
Dabei brauchte er für seine Erfolge auf der europäischen Bühne mehr Durchhaltevermögen und Regierungskunst. Die Vertiefung der Europäischen Union, die Erweiterung nach Osten und der Euro fallen in seine Regierungszeit. Einiges wird heute auch kritisch gesehen. Helmut Kohl hat den Euro mit eingeführt, ohne eine politische Union zumindest für die Finanz- und Wirtschaftspolitik. Das war ein ökonomischer Fehler, aber Kohl setzte andere Prioritäten. Ihm ging es um Krieg oder Frieden, ihm ging es um die Unumkehrbarkeit der europäischen Einigung. Fiskalpolitischer Kleinkram interessierte ihn nicht.
Schwarz-Weiß-Denken gehört unauflösbar zu Helmut Kohl. Er hatte einfache, aber sehr effiziente Kriterien, nach denen er sein ganzes Leben und seine Politik ausrichtete. Krieg oder Frieden, Freund oder Feind, Nutzen oder Schaden, Gut oder Böse. Dazwischen gab es nichts. Und zum Feind konnte jeder werden. Denn Kohl unterschied nur zwischen denen, die für, und denen, die gegen ihn waren. Männerfreundschaften, ja die Beziehungen zu seinen eigenen Söhnen gingen darüber zu Bruch.
Zum Bösen und zu den Feinden aber gehörte seit jeher der von Kohl so gehasste Kommunismus. Damit rechtfertigte er die Spendenaffäre. Im Kampf gegen Kommunisten und Sozialisten ging Kohl an die Grenze von Demokratie und Recht.
Dabei pflegte er auf internationaler Bühne große Sympathien für Staatsmänner aus dem sozialistischen Lager. Man denke an François Mitterrand, Michail Gorbatschow und Felipe González. Hier gab er der Ideologie keinen Raum. Entscheidend war die persönliche Chemie. Dann war Helmut Kohl in der Lage, Brücken zu bauen, Leute zu gewinnen und ins Vertrauen zu ziehen.
Doch so charmant er Menschen für sich gewinnen konnte, so schroff konnte er sie wieder abweisen. Kohl ist eine große Führungspersönlichkeit, ein geschickter Staatslenker, aber auch ein unverbesserlicher Dickkopf. Auch das gehört zum 30. Jahrestag seiner Wahl.