Als Europa in den Abgrund blickte, brachte Angela Merkel die Dinge auf den Punkt: „Man hätte einfach nur die schwäbische Hausfrau fragen sollen“, meinte die Kanzlerin im Dezember 2008, mitten in der Finanzkrise. „Sie hätte uns eine Lebensweisheit gesagt: Man kann nicht auf Dauer über seine Verhältnisse leben.“
Sechs Jahre später verteidigt Finanzminister Wolfgang Schäuble, selbst Sohn einer schwäbischen Hausfrau, den ersten ausgeglichenen Haushalt seit mehr als 40 Jahren mit ähnlicher Verve. Ein Konjunkturprogramm, auf Pump finanziert womöglich, um die europäische Wirtschaft anzukurbeln? „Ein jeder kehr‘ vor seiner Tür“, zitiert Schäuble ein altes schwäbisches Sprichwort, „und fertig ist das Stadtquartier.“
Während halb Europa und die US-Administration in Washington die Deutschen bedrängen, neue Kredite aufzunehmen und so die träge gewordene Konjunktur wieder in Schwung zu bringen, hält die Bundesregierung bisher tapfer dagegen – aus gutem Grund. Wenn die deutsche Wirtschaft brummt, kann sie andere Länder zwar wie eine Lokomotive mit nach oben ziehen. Mit zusätzlichen Schulden wäre dieser Effekt aber teuer erkauft.
Es ist unbestritten, dass höhere Investitionen in die Verkehrs- und Energienetze, in Schulen und eine moderne digitale Infrastruktur Deutschland moderner und wettbewerbsfähiger machen würden. Diese Chance jedoch haben Union und SPD schon während der Koalitionsverhandlungen im vergangenen Jahr vertan, als sie ihre Aufmerksamkeit von der Mütterrente über die Rente mit 63 bis zum Mindestlohn vor allem den sozialen Fragen widmeten. Die fünf Milliarden Euro, die in dieser Wahlperiode zusätzlich für Straßen, Schienen und marode Brücken zur Verfügung stehen, sind dagegen ein Klacks. Wirtschaftsforschungsinstitute schätzen den Investitionsbedarf heute auf mindestens zwölf Milliarden Euro – pro Jahr.
In einem Haushalt von 300 Milliarden Euro sollten solche Summen eigentlich mit Einsparungen und Umschichtungen an anderer Stelle zu finanzieren sein. Bisher jedoch unternimmt die Koalition keinerlei Anstrengungen, um der Wirtschaft aus ihrer gegenwärtigen Flaute zu helfen. Im Gegenteil. So lange die Arbeitslosenzahlen nicht steigen und die Wachstumsprognosen nicht unter die kritische Marke von einem Prozent fallen, ist der Leidensdruck offenbar noch nicht groß genug. Hauptsache, die schwarze Null steht. Und wer sagt denn, dass höhere Schulden in Deutschland automatisch zu einem höheren Wachstum in Frankreich, Italien oder Spanien führen?
Natürlich muss jede Regierung zunächst vor ihrer eigenen Türe kehren. Das allerdings entbindet die deutsche nicht von der Pflicht, sich jetzt energisch gegen eine drohende Rezession zu stemmen. Tatsächlich jedoch ruht sich in Berlin nun schon die dritte Koalition auf den Erfolgen von Gerhard Schröders umstrittener Agenda 2010 aus. Mit dem Argument, Deutschland gehe es gut, werden Steuerreformen auf die lan-ge Bank geschoben, Mehreinnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe nicht für Investitionen genutzt und neue Sozialleistungen wie das Unterstützungsgeld für Beschäftigte beschlossen, die die Pflege für einen Angehörigen organisieren müssen.
Angela Merkels schwäbische Hausfrau, so viel ist sicher, hätte für schlechtere Zeiten besser vorgesorgt.