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Leitartikel: Karlsruhe schützt die Meinungsvielfalt
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 08.01.2016 17:48 Uhr

Als hessischer Ministerpräsident redete Roland Koch einst gerne über „brutalstmögliche Aufklärung“. Doch er war in Wahrheit eher brutalstmöglicher Einflussnehmer von CDU-Interessen – gerade im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.

Zu seiner Zeit wurden kritische Sendungen wie „Kennzeichen D“ ohne großes Aufheben auf unattraktive Sendezeiten geschoben oder aus dem Programm gehoben. Aber heikel wurde es erst, als Koch und eine unionsnahe Mehrheit 2009 gegen heftigen Widerstand den unabhängigen ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender aus dem Amt kegelten.

Gegen diese ungehemmte Einflussnahme – an den Gebührenzahlern vorbei – gab es eine Klage beim Bundesverfassungsgericht. Dessen Feststellung kann eigentlich keinen überraschen: Die Kontrollgremien, die sicherstellen sollen, dass Meinungsvielfalt herrscht, sind unter Kontrolle der etablierten Parteien. Beim ZDF sorgen Politiker vor allem dafür, dass eigene Positionen größtmögliche Aufmerksamkeit genießen.

Ob das durch den Spruch aus Karlsruhe nun besser wird, darf man bezweifeln. Von 77 Fernsehräten, die für das Programm Weichen stellen, soll künftig nur noch ein Drittel aus der Politik kommen. Aber die Parteien finden schon Auswege, um ihren Einfluss zu erhalten. Schon jetzt gibt es neben 30 offiziellen Parteivertretern weitere Polit-Lobbyisten, die unter falscher Flagge segeln: Die CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach vertritt offiziell den Bund der Vertriebenen, Heinrich Traublinger (CSU) den Zentralverband des Handwerks und Ex-Minister Rudolf Seiters das Rote Kreuz. Auch in der ARD schneidern sich Landesregierungen ihnen genehme Rundfunkräte.

Das pervertiert den Kernauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunk-Anstalten: die freie und umfassende Meinungsbildung zu gewährleisten. Gruppen wie „Pro Asyl“, „attac“ oder der „Bund Naturschutz“ sind da nicht vertreten, dafür aber parteinahe Gruppierungen: beim WDR die Industrie- und Handelskammern und die Wirtschaftsjunioren, im MDR der „Sächsische Heimatschutz“, aber auch der Landesverband der Verfolgten des Naziregimes. Dem NDR-Rundfunkrat gehört eine Vertreterin von Haus & Grund-Besitzer Mecklenburg-Vorpommern an und ein Mitglied des Mieterbundes Schleswig-Holstein.

Was soll sich nun ändern? Vorstellbar wäre, dass sich künftig jeder Bürger als Rundfunkrat bewerben kann und die Plätze ausgelost werden – eine Form der Mitbestimmung, die zu begrüßen wäre. Dies wäre aber nur ein erster Schritt zum Erhalt einer unverzichtbaren Institution. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen bekommt man noch immer mehr Information als in allen Privaten zusammen, die das teure Feld der seriösen Information schnell wieder geräumt haben. Aber zunehmend gestalten bei ARD und ZDF Angsthasen das Programm. Musterbeispiel war zuletzt das Exklusiv-Interview mit dem Enthüller Edward Snowden – um Mitternacht, praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Mut sieht anders aus.

Stattdessen gibt es zur besten Sendezeit aalglatte Seifenopern, stundenlang Wintersport und ausgelutschte Shows wie „Wetten, dass?“ – gepflegte Langeweile, mit der man sich auf der sicheren Seite wähnt. Statt Qualität ist Quote das allein selig machende Kriterium zur Programmgestaltung – und so sieht es auch aus: unkritisch, stromlinienförmig, beliebig.

 
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