Wenn an Rhein und Ruhr die Erde bebt, wackeln auch an der Spree die Wände. Landtagswahlen im bevölkerungsreichsten Bundesland waren stets kleine Bundestagswahlen und nahmen immer wieder Veränderungen der politischen Großwetterlage vorweg.
1966 schloss der Sozialdemokrat Heinz Kühn eine Regierung mit der FDP – Vorbote der sozialliberalen Koalition drei Jahre später im Bund. 1995 brauchte Johannes Rau die Grünen als Koalitionspartner – drei Jahre später übernahm Rot-Grün auch die Macht im Bund. Und 2005 gewann der CDU-Herausforderer Jürgen Rüttgers die Wahlen gegen SPD-Amtsinhaber Peer Steinbrück. Bundeskanzler Gerhard Schröder rief daraufhin vorgezogene Neuwahlen aus – und verlor gegen Oppositionsführerin Angela Merkel.
Vier Monate vor der Bundestagswahl hat Nordrhein-Westfalen wieder gewählt. Und wieder erschüttert ein politisches Erdbeben an Rhein und Ruhr die gesamte Republik. Die SPD erleidet ausgerechnet in ihrem Stammland ein Debakel von historischem Ausmaß, der CDU gelingt die Rückeroberung der Macht. Die Liberalen feiern ein glanzvolles Comeback, die Grünen stürzen ab, die Linken scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde und die AfD zieht in den 13. Landtag in Folge ein.
In der Defensive und ohne wirkliche Machtoption
Der Doppelschlag der CDU, die binnen einer Woche der SPD zwei bittere Niederlagen zufügt und ihr zwei Länder abnimmt, darunter deren „Herzkammer“ NRW, ist zwar noch keine Vorwegnahme des Bundestagswahlergebnisses, verändert aber die politische Großwetterlage fundamental. Die SPD ist wieder da, wo sie vor dem Rücktritt von Sigmar Gabriel und der Kür von Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten war – in der Defensive und ohne wirkliche Machtoption.
Noch immer ist nicht erkennbar, wofür die SPD unter ihrem neuen Parteichef steht und wie sie sich die Zukunft des Landes vorstellt. Stattdessen betreibt sie ausschließlich Nabelschau und Vergangenheitsbewältigung. Statt die unverkennbaren Erfolge der Agenda 2010 ihres Kanzlers Gerhard Schröder für sich in Anspruch zu nehmen, zelebriert sie unverändert ihr Leiden an der Agenda und stellt somit auch ihre unbestreitbaren Erfolge in der Großen Koalition – Stichwort Mindestlohn – zur Disposition. Der Wähler aber will keine Partei, die mit sich hadert, sondern selbstbewusst und entschlossen auftritt sowie eine Zukunftsperspektive anbietet.
Schulz-Effekt mobilisierte Kampfgeist in der CDU
Völlig anders stellt sich die Perspektive für Angela Merkel und die Union dar. Die völlig überraschenden Siege an der Küste und in NRW verleihen ihr einen Aufwind, der bis September tragen kann. Der Schulz-Effekt ist auch für die CDU nicht ohne Folgen geblieben. Er führt zu einer Mobilisierung in den eigenen Reihen und führt ihr sowohl bisherige Nichtwähler als auch frühere Wähler anderer Parteien zu. Vor allem aber macht es sich bezahlt, dass die Partei – auch unter dem massiven Druck der Schwester CSU – wieder erkennbarer ihr konservatives Profil pflegt und ihre Kernkompetenzen bei der inneren Sicherheit, dem Kampf gegen Kriminalität, bei der Bildung sowie der Wirtschaftspolitik in den Vordergrund rückt.
Die lautstark geforderte Kurskorrektur hat längst stattgefunden, auf leisen Pfaden hat sich Merkel von ihrer Politik der Willkommenskultur verabschiedet und fährt einen harten Kurs in der Ausländerpolitik, womit sie auch der AfD den Wind aus den Segeln nimmt.
Nach den drei Landtagswahlen ist der Boden für den Bundestagswahlkampf bereitet. Wobei die Lage der Parteien eine völlig andere ist als noch im Januar: eine CDU, die auf einer Welle der Zustimmung segelt, eine SPD unverändert ohne realistische Machtoption, eine FDP, die vor einem glanzvollen Comeback steht, Grüne, die ums Überleben kämpfen, eine Linke und eine AfD im politischen Abseits. Die Karten sind neu gemischt, und Merkel hat im Kampf ums Kanzleramt wieder alle Trümpfe in der Hand.