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Leitartikel: Jeht dat jut?
Bearbeitet von Rudi Wais
 |  aktualisiert: 26.09.2016 03:54 Uhr

Berlin, wat haste dir dabei jedacht? Ja, dein neues Parlament ist mit seinen sechs Fraktionen so schillernd-bunt und widersprüchlich wie du selbst. Aber, mal ehrlich: Jeht dat jut? Die SPD als stärkste politische Kraft in der Hauptstadt hat inzwischen nicht einmal mehr ein Viertel der Wähler hinter sich. Das reicht zwar noch, um eine rot-rot-grüne Koalition anzuführen, die aber wird um einiges instabiler sein als die Große Koalition, die der Regierende Bürgermeister Michael Müller partout nicht fortsetzen wollte.

Unter anderen Umständen, in einem anderen Bundesland hätte ein Bündnis, das drei Milliarden Euro an Schulden abbaut und sogar kleine Haushaltsüberschüsse erwirtschaftet, beste Aussichten auf eine weitere Legislaturperiode gehabt. Berlin aber tickt anders – das zeigt auch die Wahl zum neuen Abgeordnetenhaus. Mit ihr geht die Macht aller Voraussicht nach an drei Parteien, die sich viel zu ähnlich sind, um eine Koalition der ausgleichenden Interessen zu bilden.

Alle drei stellen das Verteilen vor das Erwirtschaften, alle drei vertrauen vor allem auf die Regelungskraft des Staates und nicht auf Eigeninitiative und Eigenverantwortung – und alle drei werden genau dafür gewählt. Jeder sechste Berliner lebt heute in irgendeiner Form von Vater Staat, von Arbeitslosengeld oder Hartz IV, von Bafög, Sozialhilfe oder der Grundsicherung im Alter. So gesehen ist es schon eine kleine Sensation, dass die FDP im subventionsverwöhnten Berlin überhaupt den Sprung zurück ins Parlament geschafft hat, wenn auch mit einem wenig liberalen Thema: dem Kampf für den Weiterbetrieb des Flughafens Tegel.

Die Stadt wächst – und mit ihr der Berg an Problemen. Das Angebot an bezahlbarem Wohnraum ist viel zu knapp, der Reformstau in den Schulen, im Nahverkehr und im Straßennetz gewaltig, die Verwaltung je nach Sichtweise überlastet oder überfordert. Die Zustände am Landesamt für Gesundheit und Soziales, das vor dem Andrang der Flüchtlinge kapitulierte, waren in gewisser Weise ja symptomatisch: Was im Rest der Republik wie selbstverständlich funktioniert, geht in Berlin wie selbstverständlich schief. Der Bau eines Flughafens. Das Sanieren einer Oper. Das Ansiedeln neuer Unternehmen. Andere Hauptstädte wie Paris oder London sind die Wirtschaftszentren ihrer Länder. Berlin hängt am Tropf der anderen Bundesländer.

Eine Allianz aus drei linken Parteien ist in dieser Situation Gift für die Stadt. Sie werden, das darf man annehmen, vor allem mit sich selbst beschäftigt sein. Das Klima zwischen den Sozialdemokraten und den Grünen ist seit den gescheiterten Koalitionsverhandlungen vor fünf Jahren nicht wirklich besser geworden – und auch die Autorität des Regierenden Bürgermeisters ist durch das blamable Wahlergebnis angekratzt. Nicht einmal mehr 25 Prozent für die SPD, in der Stadt von Ernst Reuter und Willy Brandt? Undenkbar lange Zeit.

Dass die Große Koalition so miserabel abgeschnitten hat, liegt allerdings nicht nur an der CDU, dem allgemeinen Verdruss über die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin und ihrem wenig populären Spitzenkandidaten Frank Henkel. Es war auch Müllers leicht beleidigte, gerne bei anderen die Schuld suchende Art, die beide Regierungsparteien zusammen mehr als zehn Prozentpunkte gekostet hat. Dieser Mangel an Mannschaftsgeist ist das größte Problem der Berliner SPD, das sie auch durch den Austausch von Koalitionspartnern kaum lösen wird.

 
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