Die Wiener Einigung zum Atomprogramm des Iran ist eine historische Chance, die ihr Potenzial noch beweisen muss. Als diplomatischer Erfolg jedoch sticht das Abkommen jetzt schon aus dem Kleinklein einer unübersichtlich gewordenen Welt. Durchbrüche wie dieser sind international selten geworden. Die Vorarbeit geht vor allem aufs Konto der Regierung von US-Präsident Barack Obama. Nach dem Neuanfang mit Kuba steht er vor einer zweiten, möglicherweise weit wichtigeren Kehrtwende in der Außenpolitik seines Landes. Der Deal wird in den kommenden Wochen skrupulös analysiert werden; Obamas Fernsehansprache am Dienstag klang in zentralen Passagen noch wolkig.
Dass die Sanktionen bei jeder Verletzung wieder in Kraft treten, ist unrealistisch, und wo genau die Grenze verläuft, wird international umstritten sein. Der US-Präsident hat den Zugang zu Irans Atomanlagen gelobt, erwähnte aber die ursprünglich vorgesehenen Kontrollen von Militäreinrichtungen zunächst so wenig wie die eigentlich angestrebte Offenlegung der bisherigen Forschung. Die Mechanismen, die das Abkommen für Streitfälle vorsieht, sind komplex; Kritiker fürchten, dass Teheran daraus Zeit gewinnen könnte, um Spuren zu verwischen.
Befürworter können darauf verweisen, dass der Vorsitzende der Internationalen Atomenergieorganisation, Yukiya Amano, mit dem Erreichten zufrieden scheint. Dass Teheran sich seinen Inspektoren sogar unbefristet unterwerfen will, gehört zu den großen Pluspunkten. Die meisten anderen Aspekte schaffen historisch nicht mehr als eine Atempause. Wenn das Abkommen ausläuft, wird Iran ein nuklearer Schwellenstaat sein, der wirtschaftlich weit besser dasteht als heute. Trotzdem hat Obama mit seiner Kernthese recht, dass ein Verzicht auf den Pakt die Chancen auf Krieg erhöht. Der schrille Alarmismus von Israels Premier Benjamin Netanjahu und der ihm verbundenen US-Opposition wirkt nicht nur in seiner Unsachlichkeit befremdlich: Die Kritiker haben auch keinen Gegenvorschlag. Sie blenden aus, dass der Iran trotz der bestehenden Sanktionen mit seinem Atomprogramm große Fortschritte gemacht hat. Den Status Quo beizubehalten, wäre deshalb keine Option gewesen. Noch mehr Druck, um noch mehr Zugeständnisse zu erzielen, war auch nie plausibel: Länder wie Russland und China widersetzen sich härteren Sanktionen. Selbst die bestehenden wären mittelfristig erodiert, da manche Nationen sich nur mit der Aussicht auf ein baldiges Abkommen zu Handelseinbußen überreden ließen.
In einer Situation, in der es keine einfachen Auswege gibt, ist der aktuelle Deal keine Lösung, sondern ein strategischer Versuch: Der Westen hofft, Teheran in ein Miteinander zu locken, das Einstellung und Verhalten wenn nicht der Mullahs, dann der Menschen im Land auf Dauer ändert. Irans Oberster Führer ist alt; die Mehrheit der jungen Bevölkerung wünscht sich nichts sehnlicher als die internationale Isolation zu durchbrechen. Vom befreundeten Nordkorea hat das herrschende Regime zwar gelernt, wie man beim Thema Atomwaffen laviert. Umso mehr Gründe gibt es, die nun gebotenen Kontrollmöglichkeiten zu ergreifen. Ein Militärschlag wird in einigen Jahren genauso wenig vom Tisch sein wie heute. Angesichts der kaum beherrschbaren Folgen gehört aber mehr als nur Fahrlässigkeit dazu, die aktuelle Chance nicht zu testen.