Selten haben Beobachter so danebengelegen wie beim Aufstieg des US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump. Bis heute gilt nur eines für noch unwahrscheinlicher als sein Sieg bei der republikanischen Vorwahl: dass er im November tatsächlich Präsident werden könnte. Doch inzwischen droht sich zur Auszehrung der konservativen Partei ein unerwarteter neuer Faktor zu gesellen: die Schwäche der mutmaßlichen demokratischen Kandidatin Hillary Clinton.
Vergangenen Juli hatte sie in Umfragen 20 Prozentpunkte Vorsprung auf Trump, inzwischen liegen die beiden Kopf an Kopf. Dass Trump sich in seiner Partei schon durchgesetzt hat, während Clinton noch gegen Bernie Sanders kämpft, ist fraglos ein Vorteil. Der langfristige Trend deutet aber auf grundlegendere Probleme.
Zunächst gehören dazu handwerkliche Fehler. Bis heute können die meisten Wähler weder aus Clintons Zeit als Senatorin noch aus ihrer Ära als Außenministerin Erfolge aufzählen. Die Kandidatin hat es nicht geschafft, daran etwas zu ändern – unter anderem, weil sie ständig mit Negativschlagzeilen beschäftigt ist.
Wer eine demokratische Präsidentschaftskandidatur erwägt, sollte sich denken, dass Wall-Street-Auftritte zu Mondpreisen Problempotenzial bergen. Clinton hätte auch ahnen müssen, dass sich ihre E-Mail-Gepflogenheiten rächen würden: Sie selbst hat 2007 als Senatorin die Bush-Regierung für die Verwendung von Privatkonten kritisiert. Trotzdem nutzte sie später als Außenamtschefin einen persönlichen Server.
Gegen Trump gibt sich Clintons Wahlkampfmaschine derweil ziemlich täppisch. Als sie ihm vorwarf, aus der Immobilienkrise Kapital geschlagen zu haben, konterte er, er sei Geschäftsmann und genau das, was die amerikanische Wirtschaft jetzt brauche. Als sie ihn wegen frauenfeindlicher Äußerungen angriff, erklärte er, Hillary habe in ihrem Mann Bill einen notorischen Triebtäter gedeckt, seine Opfer beleidigt und bedroht. In beiden Fällen versank sie in peinlichem Schweigen.
Bis heute hat Clinton keine Vision von der Zukunft skizziert, in die sie das Land führen will. Trump tritt weit inspirierender auf. Seine Mischung aus Provokation und frei erfundenen „Fakten“ nötigt ihn zwar zu dauernden Korrekturen. Doch seinen Fans macht das nichts aus – ihnen ist ein Mann, der frei von der Leber weg redet, wichtig. Die übervorsichtige Clinton dagegen verschanzt sich hinter einer Sprache voller Spielräume und doppelter Böden – Authentizität ist ihre größte Schwäche.
Der aktuelle Bericht des Außenministeriums zu ihrem E-Mail-System war für sich genommen schon schädlich. Inzwischen zeichnet sich auch noch ab, dass Clinton nach ihrem Abschied, anders als behauptet, nicht einmal alle Dienstmails übergeben hat. Die Frage, was sie wohl sonst noch verbirgt, wird sie nun kaum noch los.
Trump hat durchaus auch Probleme. Sein Team kämpft mit internen Querelen; im Prozess um tausendfachen Betrug an der ehemaligen „Trump University“ sieht es schlecht aus. Seiner Gefolgschaft freilich bestätigen solche Enthüllungen nur die Geschichte des vom Establishment verfolgten Teufelskerls. Clintons potenzielle Wähler dagegen lassen sich von Mauscheleien abschrecken – zu Recht, denn Seriosität ist ihr Hauptargument.