So ist es mit Debatten, die verdrängt oder gar bewusst ausgeklammert werden. Wenn sie schließlich an die Öffentlichkeit drängen, ungeplant und ungesteuert, kommen sie stets zur Unzeit. Die Grünen haben es leidvoll erfahren. Als im vergangenen Jahr bekannt wurde, dass sich in den Anfangsjahren der grünen Bewegung Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre auch Pädophile in der Partei tummelten und die Forderung, dass Sex mit Kindern strafffrei bleibt, in etlichen Programmen der Partei unterbrachten, war die Empörung groß. Hatten doch gerade erst Berichte über den sexuellen Missbrauch von Kindern durch Priester oder Pädagogen die Republik erschüttert.
Im Wahljahr hatten die Grünen dem nichts entgegenzusetzen. Zumal es für den politischen Gegner ein Leichtes war, mit zugespitzten Formulierungen die moralische Glaubwürdigkeit der Partei, die selber gerne die Latte der Moral bei anderen hochlegt, infrage zu stellen. Da halfen auch Entschuldigungen sowie Verweise auf den Zeitgeist in den Gründungsjahren der Partei nichts. Erst recht, als kurz vor der Bundestagswahl auch schwere Vorwürfe gegen Spitzenkandidat Jürgen Trittin laut wurden. Der Makel blieb, auch wenn er sich distanzierte und Versäumnisse einräumte.
Immerhin, im Gegensatz zu anderen haben sich die Grünen ihrer Vergangenheit gestellt und den Göttinger Wissenschaftler Franz Walter beauftragt, diesen düsteren und belasteten Teil ihrer Geschichte zu erforschen. Sein Befund nach knapp eineinhalbjähriger Auswertung aller zugänglichen Dokumente und Befragung von Zeitzeugen ist für die Grünen wenig schmeichelhaft. Sie waren kein Opfer des damals herrschenden Zeitgeistes, sondern gewährten als junge Partei, die demonstrativ anders als alle anderen Parteien sein wollte, Minderheiten aller Art bewusst einen Schutzraum, in dem diese selbst die wirrsten Thesen verkünden und in Parteiprogrammen unterbringen konnten. So fanden sich unter dem grünen Deckmäntelchen nicht nur Umweltschützer und Friedensbewegte ein, sondern auch all jene, die für die sexuelle Revolution und die Befreiung von alten Denkmustern eintraten, Schwule und Lesben, die zu Recht aus der Illegalität und Diskriminierung herauswollten, aber auch Pädophile. Und der basisdemokratische Ansatz führte dazu, dass praktisch jeder das ins Programm schreiben durfte, was er wollte, ohne dass die Parteiführung korrigierend eingriff.
Das erklärt manches – und entschuldigt dennoch nichts. Denn bei allem Streben nach sexueller Befreiung wurde übersehen, dass die vermeintliche Freiheit der einen die Unterwerfung und Ausbeutung der anderen bedeutete, auch und gerade der Schwächsten und Schutzwürdigsten der Gesellschaft, der Kinder. Erst in den 80er Jahren kam es zu einem grundlegenden Perspektivwechsel bei den Grünen. Nun rückten die Opfer sexueller Gewalt ins Zentrum.
Die Grünen waren damals nicht die Einzigen, die für eine Änderung des Sexualstrafrechts eintraten. Das Gedankengut war in der Gesellschaft weit verbreitet, auch unter Pädagogen, Juristen, Wissenschaftlern und in den Medien. Sie müssen sich ebenso dieser Debatte stellen. Und dafür sorgen, dass die Opfer nicht ein zweites Mal auf der Strecke bleiben. Warme Worte des Bedauerns allein sind zu wenig.
Das wäre dann wirklich mehr als bei anderen Organisationen, die zwar so tun als wollten sie die Lippen spitzen, aber schon dabei Probleme kriegen, vom Zustandebringen auch nur eines vernünftigen Tones ganz zu schweigen...