Er hätte den einfachen, bequemen, vor allem weniger schlagzeilenträchtigen und somit leiseren Weg gehen und das Angebot der Staatsanwaltschaft annehmen können: Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldbuße von 20 000 Euro. Doch Christian Wulff wollte nicht Ruhe, verbunden mit dem indirekten Eingeständnis einer Schuld, sondern einen Freispruch. Ein unabhängiger Richter sollte am Ende eines rechtsstaatlichen Verfahrens „im Namen des Volkes“ das Urteil verkünden, dass er unschuldig ist und sich keines strafrechtlich relevanten Vergehens schuldig gemacht hat.
So ist es gekommen. Zwei Jahre nach seinem Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten hat Wulff einen Freispruch erster Klasse erhalten. Das Landgericht Hannover sprach ihn vom Vorwurf der Vorteilsnahme im Amt frei und wies damit die Anklage der Staatsanwaltschaft zurück, mehr noch, es billigte ihm eine Entschädigung für die Durchsuchungen zu.
Das Urteil kam nicht überraschend, es hatte sich im Laufe der Hauptverhandlung abgezeichnet. Die Ankläger konnten den Nachweis nicht erbringen, Wulff habe in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident seinen Freund, den Filmproduzenten David Groenewold begünstigt, nachdem dieser ihn auf das Münchner Oktoberfest eingeladen hatte. Von Bestechung und Korruption, stellte nun das Gericht fest, könne keine Rede sein.
Wulff ist rechtlich voll rehabilitiert, alle Vorwürfe, die einst gegen ihn erhoben worden sind und die zu seinem Rücktritt führten, sind juristisch in sich zusammengebrochen – wie er es am 17. Februar 2012 im Schloss Bellevue vorhergesagt hatte.
Damit aber stellt sich die Frage, ob Wulff damals überhaupt zurücktreten musste – oder ob dieser Schritt voreilig war, weil der Druck, den die Medien, die Öffentlichkeit und zuletzt auch die Staatsanwaltschaft mit der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens aufgebaut hatten, zu groß geworden war. Dies zu klären, war nicht Aufgabe des Gerichts. Mehr noch: Dies entzieht sich einer juristischen Bewertung. Denn jenseits des Rechts gibt es noch andere Kategorien, die hier eine wichtige Rolle spielten – die Moral und das Vertrauen. Nicht alles, was legal ist, ist legitim, erst recht wenn der Eindruck entsteht, es würden private und dienstliche Belange vermischt.
Wulff räumte dies bei seinem Rücktritt ein, als er von „Fehlern“ sprach, die er gemacht habe, und dass das Land einen Präsidenten brauche, „der vom Vertrauen nicht nur einer Mehrheit, sondern einer breiten Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger getragen wird“. Die hatte Wulff auch durch sein Verhalten, seine Urlaube mit reichen Freunden, sein Zögern und seine Hinhaltetaktik aufs Spiel gesetzt. Statt die Vorwürfe offensiv zu entkräften, kam immer Neues hinterher, eine unheilvolle Spirale setzte sich in Gang, aus der es kein Entrinnen mehr gab.
Der Bundespräsident hat keine echte Macht, nur moralische Autorität. Diese aber entsteht durch das Ansehen, das der jeweilige Amtsinhaber bei der Bevölkerung genießt. Ein Präsident muss und kann kein Heiliger sein, er darf Ecken und Kanten haben – und doch dürfen an seiner Integrität keine Zweifel aufkommen. Im Februar 2012 war Wulff an einem Punkt angekommen, an dem es nicht mehr ging. So tragisch es für ihn auch war – er hatte sich an das Recht gehalten und doch sein Vertrauen verspielt. Der Rücktritt war daher notwendig und konsequent, um Schaden vom Amt abzuhalten. Gleichzeitig eröffnet der Freispruch Wulff nun aber die Chance für einen Neuanfang jenseits der Politik.
Daß nun aber immer noch von den Medien daran festgehalten wird, daß dies alles als Ursache für einen Rücktritt zu sehen ist, zeugt davon, daß diese Medien noch erbärmlicher sind. Man sollte sich einmal die Ausführungen bei Wikipedia zu Wulff’s Haltung zu Banken, EU und ESM ansehen, um endlich zu begreifen, daß dieser Wulff den Eurokraten zu einem hohen Risiko geworden war. Er begann selbständig zu denken. Und das darf ein Präsident eben nicht, wie man jetzt bei Pfarrer Gauck wieder sieht.