Manche Reflexe in der Politik funktionieren so zuverlässig wie ein Schweizer Uhrwerk. Die Nachricht vom furchtbaren Terroranschlag auf die Redaktion der französischen Satirezeitung „Charlie Hebdo“ war noch keine 24 Stunden alt, da wusste die CSU bereits, was geschehen muss, um die Sicherheit in Deutschland zu erhöhen: Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, mehr Befugnisse für die Sicherheitsbehörden sowie eine Verschärfung des Strafgesetzes.
Der Schutz der Bürger in Deutschland sei wichtiger als der Schutz der Daten von Terroristen und Kriminellen, argumentierte der Innenexperte der Partei, Hans-Peter Uhl – ohne allerdings näher auszuführen, wie die verdachtsunabhängige Speicherung aller Verbindungsdaten das Attentat von Paris hätte verhindern können.
Doch darum ging es der CSU auch nicht. Vielmehr wollte sie sofort die Meinungsführerschaft übernehmen, den Druck auf die Koalitionspartner in Berlin erhöhen und der politischen Konkurrenz von AfD und Pegida, die im eigenen Revier wildert, den Wind aus den Segeln nehmen.
Mit Erfolg: Auch Innenminister Thomas de Maiziere, der zuvor noch zurückhaltend und mäßigend aufgetreten war, zur Besonnenheit geraten und vor Panikmache gewarnt hatte, schloss sich der Forderung nach Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung an, wohl wissend, dass sowohl der Europäische Gerichtshof als auch das Bundesverfassungsgericht die anlasslose Speicherung der Daten verworfen haben und SPD-Justizminister Heiko Maas dabei nicht mitmacht. So wirkt die Große Koalition uneins und konzeptlos. Dabei ist der Staat weder wehrlos noch die Gesellschaft schutzlos. Nach den Terroranschlägen des 11. Septembers 2001 in New York wurden sowohl in der EU wie in Deutschland die Gesetze drastisch verschärft, in der Bundesrepublik entstand eine neue Sicherheitsarchitektur, indem das strikte Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten aufgehoben und ein gemeinsames Terrorabwehrzentrum samt einer zentralen Extremistendatei eingerichtet wurden. Die Verfassungsschützer des Bundes wie der Länder haben die Extremisten im Blick. Allerdings können sie nicht mehr tun, als sie zu erfassen und zu beobachten, eine komplette Rund-um-die-Uhr-Überwachung aller sogenannter Gefährder ist schlicht nicht möglich.
Bundespräsident Joachim Gauck hat die richtigen Worte gefunden. Die freie Gesellschaft ist weder ohnmächtig noch hilflos, sondern hat entschlossene Bürger, Gesetze und Institutionen, um Fanatismus und Gewalt zu begegnen. Es zeichnet den freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat geradezu aus, dass er den Ausgleich zwischen der individuellen Freiheit und der Sicherheit der Gesellschaft sucht und nicht denen folgt, die mit Fanatismus, Hass und Gewalt die Freiheit einschränken oder gar abschaffen wollen. Das Recht setzt dabei den Rahmen, es bestraft nicht die Gesinnung, sondern die konkrete Tat.
Ist das naiv, weltfremd? Nein. Gerade die Deutschen, die eben mit großen Emotionen des 25. Jahrestags des Mauerfalls gedacht haben, wissen aus eigener Erfahrung, dass die Freiheit auf Dauer stärker als jede Repression ist. Die demokratische Gesellschaft muss daher bleiben, was sie ist – der einzige überzeugende Gegenentwurf zu allen menschenverachtenden Ideologien, zu Terror und Gewalt.