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Leitartikel: Frankreichs Wirtschaft liegt darnieder
Von Birgit Holzer red.politik@mainpost.de
 |  aktualisiert: 01.03.2013 19:30 Uhr

Frankreichs Regierungssprecherin Najat Vallaud-Belkacem weiß zu beschwichtigen: François Hollande hänge nicht der Methode von Émile Coué an, sagt sie. Als Begründer der modernen Autosuggestion setzte Coué auf konsequent positives Denken, um sich und andere zu überzeugen – wider besseres Wissen. Doch der Präsident sei realistisch, wenn er daran festhalte, dass eine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt bis Ende des Jahres machbar sei, so Vallaud-Belkacem. Obwohl die Arbeitslosigkeit zum 21. Mal in Folge auf 10,6 Prozent wuchs, den höchsten Stand seit 1997.

Hollande hat versprochen, diese bedrohlich steigende Kurve noch 2013 umzudrehen. Er beteuert, den Haushalt rasch zu sanieren. Am Wiederaufbau der französischen Wirtschaft, die in den vergangenen Jahren dramatisch an Wettbewerbsfähigkeit einbüßte, wolle er sich messen lassen. Doch es gelingt ihm immer weniger, auch die anderen von seinen wackeligen Gewissheiten zu überzeugen. Nun räumte er ein, Frankreichs Neuverschuldung in diesem Jahr nicht wie geplant auf drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) drücken zu können und hofft auf die Kulanz der EU-Kommission und einen Aufschub bis Ende 2014.

Die Wahl in Italien dient Paris als Argumentationshilfe: Reines Sparen führe zur Rebellion des Volkes. Man müsse ihm Perspektiven für Wachstum geben, das eine zu dogmatische Budgetpolitik verhindere. Industrieminister Arnaud Montebourg verkündete, Madame Merkel könne nicht alleine Europa dirigieren, sprich, allen ihr Spardiktat aufzwingen. Denn in diesem Ruf steht die Kanzlerin. Noch bleibt Hollande bei seinem Ziel, bis 2017 einen ausgeglichenen Haushalt zu präsentieren. Experten erscheint das unrealistisch, wenn er die Anstrengungen nicht erhöht. Doch auf bloße Andeutungen einer Rentenreform oder von Einschnitten beim Kindergeld folgt ein Aufschrei der Linken in der Regierung. Der Staatschef ist eingeklemmt zwischen unvereinbaren Erwartungen.

Je mehr Versprechen er relativieren muss, desto stärker nimmt seine Glaubwürdigkeit ab – und mit ihr das Vertrauen der Bürger, der europäischen Partner und der Finanzmärkte, die Frankreich historisch niedrige Kreditzinsen für Staatsanleihen gewähren – noch. Denn längst gilt nicht Italien als Europas eigentliches Sorgenkind, sondern Frankreich, dessen öffentliche Verschuldung 90 Prozent des Bruttoinlandproduktes überschritten hat. Das Jahr 2012 war geprägt von Firmenpleiten und Massenentlassungen. Die Ursachen sind bekannt: hohe Arbeitskosten, mangelnder Sozialdialog, ein starres Arbeitsrecht.

Es ist nicht so, dass die Regierung nichts tut. Aber tut sie genug? Der politische Mut eines Gerhard Schröder, dessen Agenda 2010 in Frankreich als vorbildlich gilt, ist von Hollande nicht zu erwarten. Sein massives Sparprogramm besteht zu zwei Dritteln aus Steuererhöhungen und nur zu einem aus Einsparungen, obwohl Frankreich die höchste Staatsquote europaweit hat.

Beobachter sind überzeugt davon, dass Hollande den Ernst der Lage erkannt hat. Es gehört zu seiner Strategie, Wahrheiten scheibchenweise zuzugeben, um auf Härten vorzubereiten. Doch riskiert er, nicht nur von seinen Landsleuten, sondern auch von den Investoren für einen Coué-Nachfolger gehalten zu werden, der die Situation schönredet, ohne echte Lösungen zu haben.

 
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