Zehn Kandidaten treten bei der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahl am Sonntag an – und doch empfinden viele Franzosen diese Selektion nicht als Qual der Wahl, sondern als Wahl der Qual. Manche wollen einfach Amtsinhaber Nicolas Sarkozy loswerden, der sie mit unerfüllten Versprechen, aufeinanderfolgenden Skandalen und einem selbstherrlichen Regierungsstil enttäuscht hat. Andere fürchten den Versuchsballon, den der Favorit François Hollande von den Sozialisten darstellt und der mit mäßigem Erfolg gegen den Ruf ankämpft, die Linken seien notorische Schuldenmacher. Einige schwanken zwischen Protest- und „nützlicher“ Wahl. Oder gar keiner. Und viele wissen, dass demjenigen, der letztlich an die Macht kommen wird, ohnehin wenig Handlungsspielraum bleibt.
Frankreich, dem der Angriff der Finanzmärkte droht, wird sparen, seine hohen Staatsausgaben eindämmen, das Sozialsystem und den Arbeitsmarkt reformieren müssen. Es gibt nichts zu verteilen. Und weil sich das als Wahlkampf-Motto schlecht macht, präsentieren die beiden Hauptrivalen Stückwerk-Programme und konzentrieren sich ansonsten auf scharfe Attacken gegeneinander. Ein unbarmherziger Schlagabtausch, der das Klima vergiftet – beide wollen von der Ablehnung des anderen profitieren.
Es dürfte für den zweiten Wahlgang am 6. Mai auf ein Duell Sarkozy – Hollande hinauslaufen. Dennoch lohnt der Blick auf das Feld der Mitbewerber, das viel verrät über den Zustand Frankreichs, das Wutgefühl und Schutzbedürfnis seiner Bürger.
Da sind zum einen der Zentrumspolitiker François Bayrou, der als einziger einen „Diskurs der Wahrheit“ mit entsprechenden Härten ankündigt und das mit enttäuschenden Umfragewerten bezahlt und zum anderen Eva Joly von den Grünen, die ihrer Partei mit einem unprofessionellen und fast monothematischen Wahlkampf einen Bärendienst erwiesen hat – allein mit der Forderung nach einem Atomausstieg lässt sich Frankreich nicht mobilisieren. Die übrigen Kandidaten lassen sich in zwei Gruppen aufteilen, die ihre Kampagnen auf Angst und Zorn aufbauen: Hier die extreme Linke mit dem Antikapitalisten Philippe Poutou und der Gewerkschafterin Nathalie Arthaud, die eine Lektion für die „Gauner-Bosse“ und eine Revolution des Arbeitervolkes fordern, sowie der Überraschungs-Star Jean-Luc Mélenchon, der mit einem unbezahlbaren Programm eine radikale Umverteilung der Reichtümer verspricht und gegen die Globalisierung wettert – in Frankreich ein echtes Angstwort. Dort die rechtsnationale Marine Le Pen mit ihrer Stimmungsmache gegen Ausländer, Muslime und Europa, sowie der Souveränist Nicolas Dupont-Aignan und der „sozialistische Gaullist“ Jean-Pierre Chevenement – sie verteidigen Protektionismus und eine Sonderrolle für Frankreich. Die Empfänglichkeit für EU-skeptische Töne wollen auch Hollande mit der Kritik am europäischen Fiskalpakt und Sarkozy mit Bedenken über die Reisefreizügigkeit in Europa nutzen.
So machen die Bewerber die Wahl zu einer gegen „die in Brüssel“, „die Finanzspekulanten“ oder schlicht ihre neun Gegner. Nicht aber zu einer Wahl für einen Kandidaten, der überzeugt und eine schlüssige Idee hat, wie er Frankreich aus der Krise führt – der wirtschaftlichen oder der Stimmungskrise. Dabei wäre genau so einer gefragt.