Am Dienstag feiert die souveräne Republik Kosovo „Geburtstag“: Am 17. Februar 2008 proklamierte das Parlament in Pristina die Unabhängigkeit der früheren jugoslawischen Teilrepublik. Doch all die Hoffnungen der Menschen, die sich mit diesem Schritt verbanden, haben sich in sieben Jahren nicht erfüllt. Das Kosovo gilt unverändert als das Armenhaus Europas: Jeder Zweite ist ohne Job, jeder Dritte lebt unter der Armutsgrenze, die Vertreter einiger weniger mächtiger Clans bereichern sich schamlos. Die Wirtschaft liegt am Boden, dagegen blühen Korruption und organisierte Kriminalität, das Amselfeld gilt als Drehscheibe des Handels mit Frauen, Drogen und Waffen.
Ein Land ohne Perspektive. Wer kann, der geht. 50 000 Menschen verließen in den letzten sechs Monaten das Land, allein 35 000 in den zurückliegenden sechs Wochen. Ein gewaltiger Aderlass bei gerade einmal 1,8 Millionen Einwohnern. Viele kommen nach Deutschland, wo sie schon während des Krieges Ende der 90er Jahre Zuflucht fanden. Allein im Januar waren es rund 18 000, 3630 von ihnen stellten einen Antrag auf Asyl – eine Zunahme um 86 Prozent, obwohl die Anerkennungsrate im vergangenen Jahr bei gerade einmal 1,1 Prozent lag, im Januar sogar nur bei 0,3 Prozent. Doch solange das Asylverfahren läuft, werden sie versorgt.
Es ist offensichtlich: Nicht wegen politischer Verfolgung kommen die Kosovaren, sondern wegen der katastrophalen wirtschaftlichen Lage und der Perspektivlosigkeit. Das aber ist kein Asylgrund und kann niemals ein Asylgrund werden. Es gäbe gute Gründe, das Kosovo als sicheres Herkunftsland einzustufen, wie es der bayerische Innenminister Joachim Herrmann gefordert hat. Denn das Kosovo ist nicht nur eine parlamentarische Demokratie, sondern steht seit sieben Jahren unter dem besonderen Schutz der EU. Die Eulex-Mission überwacht die politische Entwicklung des Landes und hat weitreichende Kompetenzen, um eine rechtsstaatliche Verwaltung, Polizei und Justiz aufzubauen. Zudem sind noch immer rund 4900 Soldaten aus 30 Ländern stationiert, darunter 671 aus Deutschland, um das Land zu schützen.
Damit aber steht die EU direkt in der Verantwortung; der Massenexodus ist auch ein Beleg für das Versagen Europas. Dass unter dem Schutz und Schirm der Eulex-Mission und der Kfor-Truppen mafiöse Strukturen entstehen konnten und die organisierte Kriminalität blüht, ist nicht zu rechtfertigen. Die Länder und Kommunen in Deutschland, wo die Opfer jener Missstände derzeit in Scharen ankommen, müssen nun das ausbaden, was im Kosovo seit der Unabhängigkeit im Jahr 2008 sehenden Auges versäumt worden ist. Der Versuch der Politik, den Exodus zu stoppen, ist hilflos und zum Scheitern verurteilt. Denn weder die Aufstockung des Personals beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge noch die mögliche Einstufung des Kosovos als sicheres Herkunftsland ändert auch nur ein Jota an den katastrophalen Bedingungen im Armenhaus Europas.
Solange das Gefälle zwischen reichen und armen Ländern derart groß ist, die Mächtigen im Kosovo unbehelligt das eigene Land ausplündern und Schlepperbanden von dem Elend profitieren, so lange werden die Menschen nichts unversucht lassen, eine bessere Zukunft anderswo zu suchen. Die Abstimmung findet mit den Füßen statt. Und das wird sich auch so schnell nicht ändern.