Es fing ganz harmlos an – mit Bündnissolidarität und humanitärer Hilfe. Im zweiten Golfkrieg 1990/91 entsandte die Regierung Kohl Minenräumer in den Persischen Golf und im November 1991 Sanitätssoldaten nach Kambodscha. Doch vor genau 20 Jahren, am 2. April 1993, war Schluss mit dieser vornehmen Zurückhaltung. Das Bundeskabinett beschloss die Beteiligung der Bundeswehr an der Überwachung einer Flugverbotszone über Bosnien-Herzegowina – es sollte der erste Kampfeinsatz der deutschen Streitkräfte seit dem Zweiten Weltkrieg werden. Denn als die Serben 1995 Ziele in Bosnien angriffen, schlug die NATO zurück; zu den internationalen Luftstreitkräften gehörten auch 14 Tornados der Luftwaffe, die insgesamt 65 Einsätze flogen.
So markiert der 2. April 1993 eine tiefe Zäsur. Für die Bundeswehr ebenso wie für die Bundesrepublik, die in diesen zwei Jahrzehnten einen weiten Weg gegangen sind. Die Streitkräfte wurden von einer starren Landesverteidigungs- in eine flexible Einsatzarmee umgebaut, als mögliches Einsatzgebiet gilt die ganze Welt, die Wehrpflicht wurde abgeschafft. Rund 6600 Bundeswehrsoldaten sind derzeit im Ausland stationiert, 2002 waren es über 10 000, 99 Soldaten verloren ihr Leben, viele kehrten traumatisiert zurück.
In einem langen Prozess musste das wiedervereinigte Deutschland lernen, dass das Ende des Kalten Krieges nicht nur neue Freiheiten bedeutete, sondern auch neue Gefährdungen mit sich brachte – und dass Sicherheit und Landesverteidigung angesichts der neuen Weltunordnung anders aussehen als in Zeiten der Blockkonfrontation. Deutschland, die größte Wirtschaftsmacht in der Mitte Europas, kann sich nicht mehr wegducken, auf einen Sonderweg pochen oder sich mit Schecks seiner Verantwortung entziehen. Deutschland ist gefordert, wenn es darum geht, jene Brandherde zu bekämpfen, die auch die Freiheit und die Sicherheit des eigenen Landes bedrohen können.
Das mittlerweile elfjährige Engagement in Afghanistan hat allerdings auch die Grenzen aufgezeigt. Ob die Ziele erreicht, der internationale Terrorismus an seiner Wurzel bekämpft und die Grundlagen für ein funktionierendes Staatswesen gelegt wurden, ist ungewiss.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Guido Westerwelle haben daraus ihre Lehren gezogen und die Schwerpunkte anders gesetzt. Waffen statt Soldaten lautet die Devise der neuen „Merkel-Doktrin“, die deutschen Rüstungsexporte boomen – auch in Krisenregionen. Länder, die für fähig befunden werden, für Sicherheit und Frieden in ihrer jeweiligen Region zu sorgen, sollen gezielt gefördert und gestärkt werden.
Seit 20 Jahren ringt Deutschland mit seiner Rolle auf der internationalen Bühne und sucht seine Position zwischen Engagement (zuletzt Türkei und Mali) und Zurückhaltung (Libyen). Mal prescht der Verteidigungsminister vor, mal tritt der Außenminister auf die Bremse. Dabei ist das Land längst zu einem Akteur mit Gewicht geworden, das in der Verantwortung steht. Eine öffentliche Debatte über diese Rolle, die schon der frühere Bundespräsident Johannes Rau einforderte, hat allerdings bis heute nicht stattgefunden. Die Regierung scheut sie, agiert lieber unauffällig im Ungefähren. Nach 20 Jahren ist es aber überfällig, dass sie geführt wird. Die Zeit ist reif.