Triumphaler hätte die Reise von Papst Franziskus in die USA kaum ausfallen können: In dem weitgehend protestantisch geprägten Land wurde das römische Kirchenoberhaupt wie ein Popstar empfangen, manche beschworen eine gesellschaftliche Zeitenwende. Das ist übertrieben, doch das Potenzial zu einer kleinen politischen Zäsur hat die Visite durchaus. Die Folgen für die katholische Kirche sind weniger klar.
Als erster Pontifex überhaupt ist Franziskus im Kongress aufgetreten. Am Folgetag kündigte der mächtigste Mann im Kapitol in Washington seinen Rücktritt an: der Sprecher des Repräsentantenhauses. Der ohnehin nah am Wasser gebaute Republikaner John Boehner hatte sich während der Rede in einen Tränensee aufgelöst, nicht nur aus religiöser Ergriffenheit: Der Katholik saß hinter dem Papst, als dieser wieder und wieder den Willen zu Kompromissen beschwor, zu Opfern im Dienst des Gemeinwohls. Als Sprecher des Repräsentantenhauses hat Boehner sich jahrelang um Deals mit den Demokraten der Obama-Regierung bemüht und dabei von den eigenen Leuten stets Knüppel zwischen die Beine geworfen bekommen. Im Herbst stand Boehner der nächste zermürbende Kampf um den Haushalt bevor – nun geht er von selbst.
Das bedeutet nicht, dass im Kongress Harmonie ausbricht. Aber der Papst hat noch zwei weitere Stachel platziert – in Form von konkreten politischen Stellungnahmen und in der Art seines Auftretens. Jahrzehntelang wähnten die Konservativen den prominentesten Sprecher der Christenheit stramm an ihrer Seite, beim Feldzug gegen den Kommunismus genauso wie beim Kulturkampf um Fragen der Sexualmoral. Das Wettern in biblischem Zorn ist dabei zu einem identitätsstiftenden Mittel geworden, das sachliche Diskussionen über andere Themen verhindert.
Franziskus hat Positionen der Kirche zu Verhütung, Abtreibung oder Homosexualität nicht geändert. Er weigert sich aber, daraus Kampfinstrumente zu machen. Sein Engagement für Klimaschutz, Migranten, Chancengleichheit oder ein Ende der Todesstrafe ist ihm nicht weniger wichtig, und keines dieser Anliegen darf dazu dienen, Menschen guten Willens zu entzweien. Franziskus verkörpert eine Religiosität, die Folgen haben will in der Welt; das ist gerade für junge Menschen attraktiv. Er steht aber auch für die Bereitschaft zu lernen. Absolute Gewissheiten kennt dieser Papst nur wenige, und er zwingt sie niemandem auf.
In diesem Geist hat er im Kongress wie vor der UNO lediglich um Dialog geworben, statt die autoritären Traditionen seines Amts zu beleben. Auch die US-Bischöfe hat er ermahnt, scharfe Reden zu vermeiden und durch liebevolle Güte zu überzeugen. Wenn Franziskus diese Linie durchsetzt, könnte seine Reise dazu beitragen, dem Fieber des Sozialkonservativismus mittelfristig Nährstoffe zu entziehen. Der Kompromissfähigkeit des Landes täte das zweifellos gut.
Dass der Papst neben Missbrauchsopfern, Wohnsitzlosen und Kindern auch Häftlinge traf, stieß nicht überall auf Verständnis. Die guten Umfragewerte schlagen sich nicht in Vorsätzen nieder, öfter zur Messe zu gehen. Traditionalisten fürchten, ein bescheidener Papst könne die gesellschaftliche Autorität der Kirche weiter untergraben. Langfristig dürften Argumente und jesuanisches Beispiel aber mehr Menschen überzeugen als das Pochen auf lange Gewänder.
Der extrem konservative Flügel der Teaparty will sich ja noch stärker jedem Kompromiss verweigern. Einerseits ist es gut für Barack Obama, weil sich die Opposition selbst lähmt andererseits gerät das ganze Land in eine Art Starre, weil in den beiden Häusern des Parlaments keine tragfähigen Mehrheiten mehr zustande kommen.