So schaffen wir das nicht. So wird Angela Merkel den Rückhalt für ihre Flüchtlingspolitik irgendwann auch in den eigenen Reihen vollends verlieren. Die Kanzlerin versäumt es nämlich, den Bürgern ausreichend zu erklären, wie der nicht enden wollende massenhafte Flüchtlingsstrom organisatorisch und – was entscheidend ist – wirtschaftlich zu bewältigen ist.
Weil Merkel das unterlässt, zweifelt laut ZDF-Politbarometer eine klare Mehrheit der Bevölkerung daran, dass Deutschland der Herausforderung gewachsen ist. Immer mehr Menschen, die als Christen bereit sind, von Hunger und Tod bedrohte Menschen in Deutschland aufzunehmen, sind verunsichert. Dabei handelt es sich meist nicht um bornierte Kleinbürger, sondern Menschen, die nicht nur ihr Herz, sondern auch den Verstand sprechen lassen. Der Verstand gebietet die Einsicht: Auch Barmherzigkeit braucht strategische Konzepte, Wirtschaftlichkeitsberechnungen und Controlling. Das können karitative Organisationen bestätigen. Bei einer Dimension von weit mehr als einer Million Flüchtlingen lässt sich Nächstenliebe (die dringend geboten ist) nur so den Menschen vermitteln.
Die Bürger haben ein Recht auf einen Masterplan. Wie lässt sich der Zustrom der Flüchtlinge auf Dauer begrenzen? Wie viele zusätzliche Wohnungen brauchen wir für Migranten? Was kostet das? Geht dies nur mit höheren Steuern? In welchem Maße steigen die Ausgaben für Hartz IV? Wie viele zusätzliche Lehrer und Polizisten müssen eingestellt werden? Wo sollen all die Menschen herkommen, die den Flüchtlingen Deutsch und Respekt vor unserer Kultur beibringen? Weil es an befriedigenden Antworten fehlt, kippt die Stimmung. Was Merkel braucht, sind Menschen, deren Dienste gefragt sind, wenn Firmen kriseln: Jetzt muss die Stunde der Berater schlagen. Die Kanzlerin sollte die besten Köpfe zusammentrommeln, um ein bundesweites Bündnis für Flüchtlinge zu gründen, wie einst Helmut Kohl und später Gerhard Schröder versuchten, in einem Bündnis für Arbeit der Massenarbeitslosigkeit Herr zu werden.
Deutschland befindet sich in einem Ausnahmezustand, der eine konzertierte Aktion rechtfertigt. Ein solcher Migrationspakt muss als breites gesellschaftliches Bündnis angelegt sein: Neben den klügsten Ökonomen sollten im Krisenrat Vertreter von Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und Hilfsorganisationen sitzen. Ein solcher Pakt braucht einen Repräsentanten an der Spitze, dem die Menschen vertrauen. Gesucht wird ein Macher-Typ mit menschlichem, politischem und ökonomischem Sachverstand, eine Art barmherziger Betriebswirt, unter dessen Vorsitz eine Flüchtlingsagenda 2025 erarbeitet wird. Schröders Agenda 2010, dank der es langfristig gelang, die Massenarbeitslosigkeit zu besiegen, darf hier ruhig Pate stehen. Denn nach allem, was bisher bekannt ist, dauert es rund zehn Jahre, bis die bei uns angekommenen Menschen integriert sind. Und wer soll an der Spitze eines solchen Flüchtlingsbündnisses stehen?
Gesucht wird eine Mischung aus dem sensibel-pragmatischen früheren DGB-Chef Michael Sommer, dem nachdenklichen Ex-BMW-Boss Norbert Reithofer, dem klugen Benediktiner-Pater Anselm Grün und der zupackenden Trumpf-Chefin Nicola Leibinger-Kammüller. Merkel muss die Last auf viele Schultern verteilen. Ein gutes Team entfaltet mehr Weisheit als der Einzelne. Dann schaffen wir das – vielleicht.
Frau Merkel ist eine Kanzlerin für die Zeit des Allen wohl, Keinem wehe. Für die Zeit also, in der es lediglich Überschüsse zu verteilen gibt. Sie ist aber keine Krisenkanzlerin - vor allem nicht für Krisen, die sie selbst am 08.09.2015 im hormonellen Selfiefieber hervorgerufen hat. Sie hielt dies für einen Befreiungsschlag, nachdem die Presse sie (das sollten wir nicht vergessen) wochenlang als "unmütterlich" durchs Dorf trieb, weil sie dem libanesischem Flüchtlingskind die Wahrheit gesagt hatte, "dass nicht alle hier bleiben dürfen". Die Wahrheit wurde dann - unter Pressedruck - in ihr Gegenteil verkehrt. So war das damals im Spätsommer 2015.