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Leitartikel: Ein „gefesselter Riese“
Benjamin Stahl
 |  aktualisiert: 03.04.2015 12:50 Uhr

Ausgemergelt und seltsam starr wirken seine Gesichtszüge. Die Jahre und das Alter haben Helmut Kohl gezeichnet. Auf den jüngsten Bildern ist der Altkanzler, der an diesem Freitag 85 wird, kaum wiederzuerkennen. Sein Bild bei den Bundesbürgern hat sich schon vor Jahren gewandelt. Während vor allem sein SPD-Vorgänger Helmut Schmidt – den laut einer Umfrage von 2013 jeder vierte Deutsche für den bedeutendsten Regierungschef in der Geschichte der Bundesrepublik hält – hohes Ansehen genießt, ist bei Kohl der Lack ab. Seine Verdienste treten in den Hintergrund.

Am Namen Kohl haftet insbesondere die CDU-Spendenaffäre wie Pech. 1999 gab Kohl zu, zwischen 1993 und 1998 bis zu zwei Millionen D-Mark Spenden angenommen zu haben, ohne dass diese in einer Spendenliste auftauchten. Später kam heraus, dass die CDU über Jahre weitere Spenden auf geheime Konten geleitet hatte. Ein Ermittlungsverfahren gegen Kohl wurde eingestellt. Die Namen der Spender behält er bis heute für sich.

Die Affäre erschütterte die CDU nachhaltig und veränderte ihre Beziehung zu ihrer einstigen Galionsfigur. Viele wandten sich von Kohl ab. Oder Kohl von ihnen. Mit früheren Weggefährten wie dem heutigen Finanzminister Wolfgang Schäuble – unter Kohl einst Kanzleramtschef und Bundesinnenminister – oder Kanzlerin Angela Merkel – Kohls „Mädchen“ ging in der Spendenaffäre früh auf Konfrontationskurs zu ihrem Mentor – verbindet ihn seit dieser Zeit nichts mehr. Noch länger herrscht Eiszeit zwischen Kohl und Heiner Geißler. Der einstige CDU-Generalsekretär unter dem Parteichef Kohl schloss erst vor wenigen Tagen einen Versöhnungsversuch aus. Vor 25 Jahren war es wegen Differenzen über den Kurs der Partei zum Bruch zwischen den beiden gekommen.

Auch abseits der Politik gab es zuletzt mehr negative als positive Schlagzeilen über Helmut Kohl. Das Zerwürfnis mit seinen Söhnen, der Streit um Tonbänder mit seinen Memoiren und die öffentliche Einmischung seiner neuen Frau Maike Kohl-Richter sorgten nicht gerade für Sympathiepunkte.

Der Machtmensch Kohl hat viel verbrannte Erde hinterlassen – aber auch ein geeintes Deutschland und ein geeintes Europa. Sicher, die Geschichte meinte es gut mit dem „Kanzler der Einheit“: Die Reformbewegungen in Osteuropa, die Proteste in der DDR und die Unterstützung des polnischen Papstes Johannes Paul II. kamen ihm entgegen. Er war zur rechten Zeit am rechten Ort. Doch ein Selbstläufer war die Wiedervereinigung nicht. Kohl hat die Zeichen der Zeit erkannt. Konsequent und mit Fingerspitzengefühl hat er auf die deutsche Einheit hingearbeitet, schuf in den dramatischen Monaten zwischen 1989 und 1990 ein Vertrauensverhältnis zu George Bush, Michail Gorbatschow und François Mitterrand. Ein historisches Kunststück, das das heutige Deutschland erst möglich gemacht hat.

Der über 1,90 Meter große Kohl, der mit seiner 16-jährigen Amtszeit die Bundesrepublik so lange regierte wie kein anderer, und der seit einem Sturz im Jahr 2008 auf den Rollstuhl angewiesen ist, hat damit einen riesigen politischen Schatten hinterlassen. Wenn er an diesem Freitag 85 wird, wird es dennoch keinen offiziellen Festakt geben. Österreichs Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel nannte Helmut Kohl kürzlich einen „gefesselten Riesen“. Eine tragische, aber treffende Beschreibung.

 
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  • Lebenhan1965
    hat seine Isolation durch sein Verhalten selbst verursacht. Wer sich über die Gesetze stellt braucht sich nicht zu wundern, wenn seine Mitmenschen ihn meiden.
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  • al-holler@t-online.de
    dass Herr Stahl im vorletzten Absatz seine Verdienste für Deutschland und Europa gewürdigt hat - und das wird es auch sein, was dereinst in den Geschichtsbüchern zu lesen sein wird.
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