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Leitartikel: Die Vollendung einer Karriere
Von Jürgen Höpfl juergen.hoepfl@mainpost.de
 |  aktualisiert: 21.12.2015 13:53 Uhr

Es gibt wenige stramme Karrieren im deutschen Sport, die mit der von Thomas Bach vergleichbar sind – Steffi Graf, Michael Schumacher, Dirk Nowitzki zum Beispiel haben es als Athleten steil und ähnlich unaufhaltsam an die Weltspitze geschafft. Der Unterschied: Bach war zwar auch mal Fecht-Olympiasieger, hat sich aber seinen sportlichen Lebenstraum erst als Funktionär erfüllt. Wie die nationalen Idole hat er dabei über Jahre hinweg strebsam und stur auf sein unglaublich anmutendes Ziel hingearbeitet, hat er sich gegen Neider, Kritiker, Widerstände behauptet – den nötigen Tunnelblick hat er sowieso.

Der Unterschied wird erst deutlich, wenn man die differierenden Beliebtheitswerte sieht: Eine Graf oder ein Nowitzki gelten als Vorbilder. Der neue Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) hat derweil kaum Fans und echte Freunde, bei ihm sind es vielmehr Günstlinge, Wegbegleiter und temporäre Zweckgefährten, die vom mächtigsten Mann der Sportwelt profitieren möchten. Von den Landsleuten wird er bestenfalls wertgeschätzt, nicht umjubelt.

Doch abseits der Grenzen, rund um den Erdball, scheint sein Ansehen rapide zu steigen: Sonst wäre es nicht möglich gewesen, dass er mit klarem Vorsprung zum IOC-Chef gewählt wurde – der Sieg im zweiten Wahldurchgang verdient Respekt. Wahrscheinlich haben die Herren der Ringe früh genug festgestellt, dass ihr neuer Vordenker bei der gebotenen Bewerberauswahl nicht die schlechteste Alternative war: Neben ihm traten da ein US-Banker aus Puerto Rico an, ein windiger Geschäftsmann aus dem Zockerparadies Singapur, ein Boxer-Boss aus Taiwan, ein zum neureichen Geldadel hochgesprungener Ukrainer sowie ein Schweizer, der gegen den Sieger bereits vor der Wahl nachgetreten hatte. Man muss mit den Bräuten tanzen, die im Ballsaal sind – Nichttänzer Bach war kein schäbiger Bräutigam.

Bachs künftiges Problem liegt schließlich zum Großteil in der Organisation des IOC, das zwischen seiner moralisch-sportlichen Tradition, der abgeschottet-arroganten Altherren-Attitüde seiner Belegschaft und der modern-kalkulierten Geldgier öfters das Maß nicht findet. Ob das Komitee in einer hektischen und vernetzten Zeit besser wird durch einen Mann, der trotz seiner zwangsweise bestehenden Kontakte zu den Wichtigen der Welt weit traditionsbehafteter und kleinbürgerlicher und konservativer ist, als seine Kritiker denken? Der sich sogar weigert, Unterlagen auf einem iPad zu lesen und sie nur klassisch ausgedruckt zur Kenntnis nehmen möchte? Es wird sich zeigen müssen.

„Einheit in Vielfalt“ heißt Bachs Motto. Es wirkt so neutral technokratisch wie der Mann in seiner Außendarstellung, und es weist darauf hin, dass es für rasche Fortschritte zu allererst der Kunst des maximal Machbaren bedarf. Dabei wäre es höchste olympische Zeit, wieder glaubwürdiger zu werden, im Anti-Doping-Kampf eine Schippe draufzulegen, den Niedergang der alten Sportarten wider die Fußballüberfrachtung zu stoppen.

Der neue, erste deutsche Anführer der Sportwelt muss auf komplizierte Themen reagieren – sich darüber zu beklagen, braucht er nicht: Genau so hat er es nämlich gewollt, nun muss er sich beweisen, und vielleicht legt er manch verhaltenes Taktieren im neuen Amt ja ab. Es täte Bachs Beliebtheitswerten gewiss gut.

 
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