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ANKARA/BERLIN
Leitartikel: Die Türkei ist derzeit kein Partner
Benjamin Stahl
 |  aktualisiert: 09.06.2017 03:48 Uhr

Es ist Zeit für ein deutliches Signal in Richtung Recep Tayyip Erdogan. Schon im vergangenen Jahr hinderte der türkische Präsident Bundestagsabgeordnete daran, die in Incirlik stationierten Bundeswehrsoldaten zu besuchen. Berlin gab sich empört, spürbare Konsequenzen zog man jedoch nicht. Das erneute Besuchsverbot für deutsche Parlamentarier auf dem türkischen Nato-Luftwaffenstützpunkt bringt das Fass nun endgültig zum Überlaufen.

Nicht nur, weil die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist – es sind die Abgeordneten, die deutsche Soldaten in Einsätze schicken und deshalb das Recht und die moralische Pflicht haben, sich vor Ort ein Bild zu machen. Fast noch provozierender ist es, dass Erdogan die in Incirlik stationierten Bundeswehrsoldaten als Druckmittel missbraucht, wenn er mit deutscher Politik nicht zufrieden ist: Hintergrund des monatelangen Besuchsverbots im vergangenen Jahr war die Resolution des Bundestags, die die Verbrechen an den Armeniern im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs als Völkermord verurteilt. Jetzt geht es Erdogan darum, dass die Bundesregierung türkischen Nato-Offizieren politisches Asyl gewährt hat.

Nachteile eines Abzugs müssen bedacht werden

Deutschland muss sich endlich wehren, zeigen, dass es nicht erpressbar ist, und Erdogan dieses Druckmittel nehmen: Berlin sollte die Bundeswehr abziehen und die millionenschweren Investitionen in die Infrastruktur des Luftwaffenstützpunkts Incirlik stoppen.

Natürlich gibt es gegen den Abzug gewichtige Argumente, die man berücksichtigen muss. So würde man mit einer solchen Aktion Gefahr laufen, dass sich die Türkei – der Puffer zwischen Europa und den Pulverfässern des Nahen Ostens – von der Nato entfremdet und stärker Russland zuwendet. Außerdem könnten die derzeit 268 Soldaten und ihre „Tornado“-Aufklärungsflugzeuge den Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat während ihrer Verlegung nicht unterstützen. Und auch später wäre der Einsatz – womöglich von Jordanien aus – laut Verteidigungsministerium nur noch mit Abstrichen möglich.

Berlin hielt sich lange genug zurück

Doch unter den aktuellen Bedingungen ist eine Stationierung deutscher Soldaten in der Türkei nicht länger tragbar. Schließlich wird Erdogan auch seiner Rolle als Nato-Partner nicht gerecht, indem er mit dem Besuchsverbot den Anti-Terror-Einsatz der Nato in eine bilaterale Krise hineinzieht. Zwar hofft die Bundesregierung noch, „dass die Türkei ihre Position noch mal ändert“. Doch selbst wenn Erdogan einlenken sollte, stellt sich die Frage, wann die nächste Schikane aus Ankara kommt.

Generell muss man sich fragen, was die Türkei überhaupt noch für ein Nato-Partner ist: Während sich das Bündnis in der Präambel des Nordatlantikvertrags zu „Demokratie, Freiheit der Person und Herrschaft des Rechts“ bekennt, errichtet Erdogan einen autokratischen Staat, drangsaliert seine Gegner und inhaftiert Journalisten. Der Präsident verfolgt einzig und allein seine eigenen machtpolitischen Ziele. Kompromisslos. Zu sehr ist er mit seiner innenpolitischen Agenda beschäftigt, als dass er Rücksicht auf internationale Verpflichtungen nehmen wollte.

Lange genug reagierte Berlin darauf diplomatisch und zahm. Auch als Erdogan Deutschland „Faschismus“ vorwarf oder Kanzlerin Angela Merkel „Nazimethoden“ unterstellte. Dazu kamen die ständigen Drohungen, den Flüchtlingsdeal mit der Europäischen Union aufzukündigen, und die Besuchsverbote für deutsche Abgeordnete. Ein Verbündeter verhält sich anders.

Ankara ist auf politischer Ebene derzeit kein Partner. Doch die Türkei braucht den Westen – vor allem aus wirtschaftlicher Sicht. So ist etwa die Bundesrepublik der größte Abnehmer türkischer Produkte. Diese Situation sollte Deutschland selbstbewusst nutzen und Erdogan die Grenzen aufzeigen. Die Chancen, dass er diese Sprache besser versteht, stehen nicht schlecht.

 
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