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Leitartikel: Die SPD muss wieder Volkspartei werden
Von Rudi Wais red.politik@mainpost.de
 |  aktualisiert: 29.09.2013 19:53 Uhr

Erstaunlich schnell macht die SPD ihren Frieden mit der Großen Koalition. Auch wenn der Parteikonvent formell nur ein erstes Sondierungsgespräch mit der Union gebilligt hat, so sind die Weichen damit doch gestellt. In dem Moment, in dem die Mitglieder über einen Koalitionsvertrag abstimmen, werden sie auch die Folgen eines möglichen Neins bedenken – ein Vorsitzender, dem gar keine andere Wahl mehr bliebe als der Rücktritt, eine Partei im Chaos und am Horizont Neuwahlen, bei denen die SPD nur verlieren kann.

Das alles ist noch kein Freibrief für Sigmar Gabriel. Mit etwas Verhandlungsgeschick aber sollte der Parteichef am Ende doch ein Bündnis schmieden können, mit dem beide Seiten leben können, Union und SPD. Sozialministerin Ursula von der Leyen deutet Kompromissbereitschaft beim Mindestlohn an, Finanzminister Wolfgang Schäuble kann sich offenbar vorstellen, die Reichensteuer etwas anzuheben, und im Kampf gegen die steigenden Mieten hat die Kanzlerin schon vor der Wahl die Linie der SPD mehr oder weniger übernommen.

Dass die offizielle Rhetorik der SPD deutlich distanzierter klingt, hat vor allem strategische Gründe. Die Sozialdemokraten wollen nicht nur umworben werden, sie wollen auch nicht vorzeitig ihre Positionen räumen und den Preis für die Union möglichst weit in die Höhe treiben. Einen Eindruck muss Gabriel schließlich auf jeden Fall vermeiden: Dass die Basis das ungute Gefühl beschleicht, ihm selbst und einigen anderen gehe es in den Gesprächen mit den Konservativen mehr um die eigenen Karrieren als um das große, gemeinsame Ganze. Wenn jetzt bereits die ersten Namen durchsickern, ist das also eher kontraproduktiv. Offenbar denken einige Sandkastenspieler in der SPD-Spitze schon weit über das Stadium der Sondierung hinaus.

Zu sicher dürfen Gabriel und seine Unterhändler sich allerdings auch nicht fühlen. Eine schwarz-grüne Koalition ist aus Sicht der Union zwar nach wie vor die schlechtere Alternative, nach dem kleinen Parteitag der Grünen am Wochenende aber auch nicht unwahrscheinlicher geworden. Im Gegenteil. Auf Augenhöhe zu verhandeln, also als einer von zwei nahezu gleichstarken Partnern, wird der SPD-Chef ohnehin kaum können. Dagegen spricht schon das Wahlergebnis. Vor acht Jahren, beim ersten Anlauf, trennte Union und SPD ein magerer Prozentpunkt. Diesmal sind es fast 16. Vor allem die CSU wird darauf pochen, dass die Union am Ende mehr Ministerien bekommt als die Sozialdemokraten – nur so können die Christsozialen wieder drei Minister in Berlin stellen.

Olaf Scholz hat Recht. Mit dem jüngsten Wahlergebnis und dem vor vier Jahren sei die SPD wieder auf dem Niveau der fünfziger Jahre gelandet, warnt der Hamburger Bürgermeister. Damals warf die Partei mit ihrem Godesberger Programm viel an sozialistischem Ballast über Bord, bewegte sich ein Stück weit in die politische Mitte und wurde so erst zu einer ernsthaften Konkurrenz für Adenauers Konservative.

Nun muss die Sozialdemokratie sich erneut die Frage stellen, was sie eigentlich sein will – eine Partei, die sich behaglich in ihrem Weltbild einrichtet und wie die Linke das Dagegensein kultiviert, oder eine Volkspartei, die gestalten will, frei nach dem ersten Münteferingschen Gesetz: Opposition ist Mist. Wenn das der Fall ist, führt für die SPD an der Großen Koalition kein Weg vorbei.

 
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