Der politische Dämmerschlaf, in den die Grünen nach der Bundestagswahl im vergangenen Jahr gefallen sind, ist vorbei. Mit dem flapsigen Satz, die Terrormilizen des Islamischen Staates könne man nicht mit der Yogamatte in der Hand aufhalten, hat sich Parteichef Cem Özdemir keine neuen Freunde gemacht. Waffen direkt an eine Kriegspartei zu liefern – das geht selbst vielen grünen Pragmatikern zu weit. Tatsächlich jedoch war ihre Partei schon einmal weiter.
Frieden schaffen ohne Waffen? So rührend idealistisch dieser Gründungsmythos der Grünen auch klingen mag, so weltfremd wirkt er auch. Joschka Fischer und Jürgen Trittin waren gerade erst Minister geworden, als der Kosovo-Konflikt Anfang 1999 zu eskalieren begann und die Grünen binnen weniger Wochen ihre Unschuld verloren. An den Luftangriffen auf serbische Ziele beteiligten sich die Tornados der Bundeswehr damals so selbstverständlich wie wenige Jahre später die Eliteeinheit KSK an der Jagd auf die Taliban in Afghanistan.
Vor allem der Einsatz im Kosovokrieg, für den die internationale Allianz kein Mandat der Vereinten Nationen hatte, hätte die Grünen fast zerrissen. Vor diesem Hintergrund klingt das kategorische Nein der meisten grünen Abgeordneten zu den nun beschlossenen Waffenlieferungen an die Kurden seltsam wohlfeil. In der Opposition kann man sich eine solche Haltung leisten – eine Partei aber, die auf absehbare Zeit wieder regieren will, sollte sich auch in der Opposition nicht zu weit von der Realität entfernen.
Die Situation im Nordirak ist dramatisch, das Leid vieler Flüchtlinge unermesslich und das Vorgehen der selbst ernannten Gotteskrieger derart bestialisch, dass die Welt hier nicht einfach zusehen darf. Auf eine koordinierte Aktion der Vereinten Nationen, wie die Grünen sie fordern, können weder die Jesiden und die Christen warten, die vor den Islamisten fliehen, noch die unzureichend bewaffneten kurdischen Einheiten, die den Vormarsch der Fanatiker stoppen sollen. Besonders paradox wirkt dabei die Logik des grünen Fraktionschefs Anton Hofreiter, der die Luftschläge der USA für richtig hält, nicht aber die deutschen Waffenlieferungen. Tatsächlich ergibt nur beides zusammen einen Sinn: eine Offensive gegen die Islamisten am Boden und aus der Luft.
Vor 15 Jahren, im Kosovo, hatten die Grünen den Mut, einen drohenden Völkermord mit militärischen Mitteln zu verhindern, indem sie zum ersten Mal seit 1945 wieder deutsche Soldaten in einen Kampfeinsatz ziehen ließen. Was damals richtig war, kann heute nicht falsch sein. Im Gegenteil: Verglichen mit den IS-Verbrechern, deren Blutrausch offenbar keine Grenzen kennt, waren die Gräueltaten des damaligen serbischen Machthabers Slobodan Milosevic im Nachhinein auch nicht schlimmer.
Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit – und ein grüner Außenminister, das darf man annehmen, würde heute kaum anders argumentieren als Frank-Walter Steinmeier. Mag sein, dass Özdemir über ein ernstes Thema etwas zu locker geredet und damit viele Parteifreunde vor den Kopf gestoßen hat. Im Kern jedoch folgt er der Linie, die Joschka Fischer einst in der Kosovo-Krise gezogen hat: Wo die Diplomatie versagt, wo Sanktionen verpuffen und die Menschenrechte täglich neu mit Füßen getreten werden, muss auch eine zutiefst pazifistische Partei ihre alten Gewissheiten überprüfen.