Es sollte ein Neustart werden: Am Sonntag wollte die konservative Nea Dimokratia (ND), Griechenlands größte Oppositionspartei, einen neuen Vorsitzenden küren. Doch die Abstimmung, die einen „Anti-Tsipras“ hervorbringen und der ND den Weg zurück an die Macht ebnen sollte, wurde zum Fiasko. Gleich zu Beginn brach die gesamte Organisation zusammen. Die Wahl wurde abgesagt.
Das wäre nicht mehr als eine Polit-Posse, trüge sie sich nicht im Dauerkrisenstaat Griechenland zu. Nicht nur ökonomisch liegt Griechenland am Boden. Auch das Parteiensystem befindet sich in einem desolaten Zustand. Das könnte fatale Folgen für die politische Stabilität haben.
Seit dem Wahlsieg des radikalen Linksbündnisses Syriza Ende Januar ist die griechische Wirtschaft erneut auf Talfahrt. Im Sommer schnürte die Eurozone deshalb ein drittes Hilfspaket. Im Gegenzug soll Athen Reformen umsetzen. Doch damit hapert es. Premier Alexis Tsipras, der seinen Anhängern noch vor einem Jahr ein Ende des Sparkurses versprochen und Milliardengeschenke in Aussicht gestellt hatte, spürt Gegenwind. Tsipras mag sich unter dem Druck der Geldgeber vom Revoluzzer zum Reformer wider Willen gewandelt haben, seine Partei aber macht nicht mit.
Die Regierungsmehrheit bröckelt bereits. Drei Abgeordnete sprangen vergangene Woche ab. Und die schwierigen Abstimmungen über schmerzhafte Maßnahmen wie die Renten- und Steuerreform stehen erst noch bevor.
Nun wendet sich Tsipras plötzlich an die Opposition und ruft nach Konsens – bisher ein Fremdwort für ihn. Statt seine Regierung nach der Neuwahl von Ende September auf eine breitere Basis zu stellen, erneuerte er sein Bündnis mit den willfährigen rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen. Mit anderen Parteien sprach Tsipras erst gar nicht über eine Koalition. Doch jetzt wirbt er für einen„nationalen Dialog“.
Aber wer soll ihn unterstützen? Die ND ist mit sich selbst beschäftigt. Die sozialdemokratische Pasok, lange die stärkste griechische Volkspartei mit 44 Prozent Stimmenanteil noch im Jahr 2009, ist mit 6,3 Prozent zu einer Splitterpartei geschrumpft. Und die viel verspre-chende Mitte-Links-Neugründung To Potami blieb ein Mauerblümchen, für das sich gerade mal vier von hundert Wählern begeistern.
Sechs Jahre nach Beginn der Krise ist Griechenlands Schuldenberg höher denn je. In einer Umfrage Mitte November äußerten 86 Prozent Unzufriedenheit mit der Regierung. Sogar sieben von zehn Syriza-Wählern geben Tsipras schlechte Noten. Und das Tal der Tränen ist noch lang: Fachleute erwarten, dass Griechenland frühestens 2031 das Vorkrisenniveau von 2008 erreichen wird. Zu den ökonomischen Sorgen kommt das Migrationsthema. Es könnte dramatische Dimensionen annehmen – wenn nämlich die Balkanstaaten ihre Grenzen dichtmachen und die Schutzsuchenden dann zu Hunderttausenden in Griechenland gefangen sind.
Das alles ist Wasser auf die Mühlen der rechtsextremistischen Goldenen Morgenröte. Schon bei der Wahl Ende Januar waren die Neonazis mit 6,3 Prozent drittstärkste Kraft, im September legten sie auf sieben Prozent zu. Die Enttäuschung über Tsipras und die drohende Desintegration der konservativen ND könnten den Rechtsextremisten weiteren Zulauf bescheren – düstere Aussichten für Griechenland.