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Leitartikel: Die Globalisierung frisst ihre Kinder
Von Michael Deppisch michael.deppisch@mainpost.de
 |  aktualisiert: 12.04.2012 19:03 Uhr

Carlo Giuliani wäre vor kurzem 34 Jahre alt geworden. Doch er starb am 20. Juli 2001 – im Alter von gerade einmal 23 Jahren. Der junge Italiener hatte mit Zehntausenden anderer Globalisierungskritiker vor elf Jahren gegen den G8-Gipfel in Genua protestiert; dabei wurde er von einem Carabiniere geschossen.

Carlo Giuliani wurde zum Helden einer weltweiten Bewegung, die vor gut zehn Jahren gegen das auf die Barrikaden ging, was man mit Globalisierung beschreibt. Die damaligen Feindbilder, das waren vor allem multinationale Konzerne und Staatschefs – die der G8-Staaten – als deren Erfüllungsgehilfen.

Doch was genau ist Globalisierung eigentlich? Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) definiert sie als einen „Prozess, durch den Märkte und Produktion in verschiedenen Ländern immer mehr voneinander abhängig werden – dank der Dynamik des Handels mit Gütern und Dienstleistungen und durch die Bewegung von Kapital und Technologie“. Die Wirtschaft als weltumspannendes Netz also.

Nun, gerade einmal ein Jahrzehnt später, haben wir dieses Netz. Längst ist die Internet- und Handydichte in vielen von uns noch hochnäsig als Entwicklungsländer bezeichneten Staaten größer als bei uns. Längst vertreiben Konzerne wie Nestlé ihre Produkte an jedem Platz dieser Erde. Und längst hat die Produktions- und Logistikoptimierung ihr Maximum erreicht. T-Shirts, Laufschuhe oder Computer lassen sich definitiv nicht mehr billiger herstellen und gleichzeitig teurer verkaufen, als wir es heute tun.

Hungerlöhne im Cent-Bereich auf der einen, Milliarden-Gewinne auf der anderen Seite, das ist die hässliche Seite der Globalisierung. Und die positive? Fakt ist: Innerhalb weniger Jahre haben Hunderte Millionen Menschen in den boomenden Schwellenländern den Aufstieg in die Mittelschicht geschafft, das gab es so noch nie. Ist Globalisierung also nun gut oder schlecht?

Die Antwort dürfte lauten: Die Turbo-Globalisierung des vergangenen Jahrzehnts wird zu einer Gegenbewegung führen. Schranken runter statt Schranken hoch.

Vor kurzem hat US-Präsident Barack Obama eine neue Behörde installiert: das Trade Enforcement Center. Es soll amerikanischen Exporteuren bei ihren Geschäften zur Seite stehen – und das, so heißt es, durchaus mit „robusten“ Mitteln.

Tatsächlich gab es im vergangenen Jahr, das haben Forscher der Universität St. Gallen gezählt, weltweit dreimal so viele protektionistische Maßnahmen als welche zur Öffnung von Märkten. Die Nase ganz weit vorn beim Einführen von Zöllen oder Einfuhrverboten haben die neuen Profiteure der Globalisierung: die BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China.

Und schließlich werden wohl die explodierenden Energie- und Rohstoffpreise der Globalisierung im alten Stil den Garaus machen. Es macht eben einen Unterschied, ob eine Containerfracht aus China 800 oder 3000 Dollar kostet. „In der globalen Wirtschaft“, so der kanadische Energieexperte Jeff Rubin, „misst man Entfernungen nicht in Kilometern, sondern in Dollar.“

Vielleicht erleben wir also irgendwann eine neue, eine wieder kleinere Welt. Die Debatte um eine Rückkehr zur D-Mark deutet das an. Globalisierung könnte dann für uns heißen, ein nettes Reiseziel für wohlhabende Touristen aus Asien zu sein. Die Weichen sind gestellt: Die Globalisierung frisst ihre Kinder.

 
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