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Leitartikel: Die Freiheit ist nicht grenzenlos
Detlef Drewes
Detlef Drewes
 |  aktualisiert: 11.11.2014 19:02 Uhr

Das Urteil könnte Europa verändern. Weil es denen, die diese Union so gerne durch Verzerrungen madig machen wollen, die Munition nimmt. Denn der Spruch der Luxemburger Richter gegen Sozialleistungsmissbrauch in der Gemeinschaft musste so kommen.

Seit Jahren enthält die kritisierte Richtlinie zur Freizügigkeit eben diese Bestimmungen, die nun als Errungenschaft gefeiert werden: keine Hilfen in den ersten drei Monaten, danach ohnehin nur, wenn man zuvor gearbeitet hat. Eine Gleichstellung mit Einheimischen und deren Ansprüchen frühestens nach fünf Jahren. Das alles war längst beschlossen. Nun wurde es bestätigt.

Der Riegel gegen EU-Immigranten inklusive einer Handhabe gegen unberechtigte Forderungen nach Geldern zur Unterstützung war im Unionsrecht immer festgezurrt. Der Streit war eine Luftnummer zur Wahlkampfzeit, derer sich viele Stammtischredner nur allzu gerne bedient haben.

Nun herrscht die gleiche Klarheit wie vorher – sieht man davon ab, dass Deutschland künftig jeden einzelnen Fall prüfen muss, weil ein pauschaler Ausschluss von Hartz IV nicht legal ist. Eigentlich könnten sogar die EU-Kritiker damit zufrieden sein.

Doch das werden sie nicht, weil die Zerrbilder einer drohenden Überfremdung, die ein Ausbluten der Sozialkassen nach sich ziehen könnten, einfach zu gut in ihr Weltbild passen. Aber es gibt keinen Ausverkauf der Mitgliedstaaten. Schon bei der Abfassung der Freizügigkeits-Richtlinie, die zu den großen Errungenschaften Europas gehört, hat man Grenzen eingezogen. Sie entsprachen dem, was in den zurückliegenden Monaten an Bedingungen eingefordert wurde.

Dennoch zeigt dieser Richterspruch auf, dass man in einer politisch verantworteten und korrekten Diskussion Unterschiede machen muss – zwischen denen, die tatsächlich nur kommen, weil man von deutscher oder anderer Sozialhilfe besser leben kann als zu Hause, und denen, die als Arbeitnehmer dringend gebraucht werden.

Dass dies für die breite Mehrheit auch der oft geschimpften Bulgaren und Rumänen zutrifft, sei an dieser Stelle erwähnt.

Der Streit um dieses Verfahren, aber auch um die Öffnung der Grenzen zu den beiden jüngeren Mitgliedstaaten, dokumentiert ein ganz anderes, größer werdendes Problem. Wir brauchen ausländische Zuwanderer. Es gibt schon heute weite Teile unserer Wirtschaft, unseres Gesundheits- und Pflegewesens und unserer Dienstleistungsbranche, die zurückgestutzt werden müssen, weil Stellen nicht mehr besetzt werden können.

Dass Krankenhäuser ganze Operationstrakte schließen müssen, weil es an fachlich geschultem OP-Personal mangelt, sollte doch zu denken geben. Es ist richtig, dass diejenigen, denen es nur um das Abgreifen von Sozialhilfe geht, den Ruf der anderen, die gerne kommen und arbeiten, ohne dem Staat jemals zur Last zu fallen, beschädigen.

Man vermisst im Streit darüber allerdings die besonnenen Stimmen, die wenigstens einmal aussprechen, dass es nur eine begrenzte Zahl von schwarzen Schafen ist. Für alle anderen sollten wir das hohe Recht der Freiheit zu leben und zu arbeiten, wo man will, vereidigen – und sie dazu ermuntern, dass ihre Wahl auf Deutschland fällt.

 
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