Ich will nicht Kanzler werden, aber Kanzler machen“, gab FDP-Chef Christian Lindner kürzlich unumwunden zu. Die Liberalen haben knapp vier Jahre nach ihrem unrühmlichen Ausscheiden aus dem Bundestag ihr Selbstbewusstsein wiedergefunden. Zu Recht. Zwar klingen Lindners Kanzlermacher-Ambitionen angesichts von Umfragewerten zwischen fünf und sechs Prozent übermütig. Doch die Partei ist nach dürren Jahren wieder im Aufschwung und in ihrer Rolle als außerparlamentarische Opposition im Wahlkampf nur schwer angreifbar. Kein Wunder, dass die FDP plötzlich heiß begehrt ist. Vor allem bei der SPD, die mit Martin Schulz endlich wieder einen Bundeskanzler stellen will.
Die Sozialdemokraten wissen um die begrenzte Anzahl ihrer Machtoptionen. Der Gedanke an eine Neuauflage der Großen Koalition dürfte im Willy-Brandt-Haus alles andere als Begeisterungsstürme auslösen. Ein Bündnis mit den Grünen hätte laut aktuellen Umfragen keine Mehrheit. Und nach dem überraschend schlechten Abschneiden bei der Saarland-Wahl und der damit verbundenen Absage der Wähler an eine Koalition mit den Linken scheut die SPD rot-rote Gedankenspiele wie der Teufel das Weihwasser.
Der Koalitionsbruch ist vergeben und vergessen
Der Weg ins Kanzleramt führt für die SPD also über die FDP. Es kommt daher nicht von ungefähr, wenn nun Martin Schulz längst vergangene sozialliberale Zeiten lobt. 1969 koalierten SPD und FDP erstmals miteinander. Selbst der Koalitionsbruch der FDP 1982 scheint vergeben und vergessen. „Das ist alles Vergangenheit“, beteuert der Kanzlerkandidat. Die FDP genießt unterdessen das Werben. Schon seit dem vergangenen Wochenende diskutieren Liberale aus der ersten Reihe die Frage nach möglichen Koalitionspartnern – seit langem liegen dabei auch wieder Alternativen jenseits von Schwarz-Gelb auf dem Tisch.
So erklärte Parteivize Wolfgang Kubicki, „die Ampelkoalition treibt mir keine Schweißperlen auf die Stirn“. Und: „Der Weg der Union zu uns ist nicht kürzer als der der Sozialdemokratie.“ Parteichef Lindner betonte dagegen, die Union stehe „der FDP näher als SPD und Grüne“. Und in Lindners Heimat Nordrhein-Westfalen schlossen die Liberalen eine rot-gelb-grüne Ampel-Koalition nach den Landtagswahlen im Mai aus.
Als Medien den scheinbaren Widerspruch aufgriffen, schrieb Kubicki auf Facebook: „Wenn man erklärt, man würde beim Gedanken an eine Ampel-Koalition keine Krätze im Gesicht bekommen, heißt das nicht, dass man eine solche Konstellation will.“ Lindner ergänzte via Twitter: „Wir werden vor der Bundestagswahl Projekte beschließen, um die Nähe oder Distanz zu anderen Parteien zu dokumentieren.“
Der SPD keinen Korb geben, die Union nicht eifersüchtig machen
Die FDP spielt die Rolle der Umworbenen gut: Sie läuft nicht überstürzt in die Arme der Union zurück, die von früheren schwarz-gelben Zeiten träumt; sie gibt CDU und CSU aber auch keinen großen Grund zur Eifersucht. Denn auch der SPD wirft sie sich nicht an den Hals; einen Korb hat die FDP den Sozialdemokraten bislang aber auch nicht gegeben. Ohnehin kann die Union das Werben der SPD um die Liberalen nicht ganz entspannt beobachten. Schließlich hätten nicht nur Ampel-Koalitionäre, sondern auch Unterhändler einer Koalition aus Union, FDP und Grünen zu klären, ob und wenn ja, wie Liberale und Grüne zusammen regieren können. Aktuell ist die FDP übrigens nur an einer einzigen Landesregierung beteiligt: in Rheinland-Pfalz – in einer Koalition mit SPD und Grünen.
Auf die Bremse tritt bei den Liberalen derzeit nur einer: Hermann Otto Solms. „Als außerparlamentarische Opposition wäre es vermessen, sich auf eine Diskussion über mögliche Regierungsbeteiligungen einzulassen“, sagte das FDP-Urgestein. Zieht die FDP aber wieder in den Bundestag ein, könnte Christian Lindner tatsächlich zum Kanzlermacher werden.