Barack Obama hat lange gezaudert – seine Entscheidung, den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan zu stoppen, bringt nun aber auch die Bundesregierung in Zugzwang. Der Angriff der Taliban auf die Provinzhauptstadt Kundus hat der Welt noch einmal vor Augen geführt, wie fragil die Lage 14 Jahre nach dem Einmarsch der internationalen Truppen noch ist, wie viel Hilfe die Regierung in Kabul noch benötigt und wie voreilig einige Staaten schon ihre Soldaten abgezogen haben.
Wenn der Einsatz in Afghanistan für die internationale Gemeinschaft nicht als politische und militärische Blamage enden soll, brauchen Länder wie die USA und Deutschland noch einen langen Atem. Und möglicherweise kann es auch die Bundeswehr nicht bei den paar Hundert Beratern und Ausbildern bewenden lassen, die sie nach dem Abzug der Kampftruppen in Afghanistan noch im Einsatz hat.
Der frühere Verteidigungsminister Peter Struck hat die Mission einst mit der plakativen Formel begründet, Deutschlands Freiheit werde auch am Hindukusch verteidigt – indem der Westen dort eine Art Bollwerk gegen den Islamismus errichtet. Mittlerweile jedoch muss Deutschland schon aus profanen innenpolitischen Gründen versuchen, die Lage in Afghanistan zu stabilisieren. Mit jedem Meter, den die Taliban vorrücken, mit jeder Stadt, die dort fällt, mit jeder Mädchenschule, die wieder geschlossen wird, werden die Schlangen vor den Behörden länger, bei denen Afghanen sich einen Pass ausstellen lassen können, um sich dann auf den Weg nach Europa zu machen. Wenn nach der Welle aus Syrien und dem Irak nicht noch eine zweite Flüchtlingswelle nach Deutschland schwappen soll, muss also auch die Bundeswehr das Ihre tun. Sich bis Ende 2016 komplett zurückzuziehen, wie es ursprünglich geplant war, hieße, Afghanistan sich selbst zu überlassen – und damit letztlich den Taliban.
Für viele Soldatenfamilien sind das beunruhigende Nachrichten, zumal zu dem Einsatz am Hindukusch noch andere nicht minder brenzlige Missionen wie der Kampf gegen die Schleuser im Mittelmeer und demnächst auch noch ein Einsatz im Norden von Mali dazukommen. Auch dort geht es nicht nur um die Verteidigung westlicher Werte, sondern immer auch um das Problem, das Deutschland im Moment am heftigsten beschäftigt: der nicht enden wollende Strom der Flüchtlinge.
Zwischen Mail und Italien liegen nur noch das Mittelmeer und Libyen, ein zusammengebrochener Staat, der sich mit der Zeit zu einer Art Transitzone für Flüchtlinge aus Afrika entwickelt hat, einer Drehscheibe für Schlepper und Schleuser. So gesehen sichern die Bundeswehr und die niederländischen Truppen in Mali nichts anderes als die Außengrenze der EU.
Deutschlands Anspruch, in internationalen Krisen und Konflikten mehr Verantwortung zu übernehmen, ist leicht formuliert. Einlösen aber müssen ihn nicht nur die Kanzlerin oder der Außenminister, wenn sie in der Ukraine vermitteln oder mit dem Iran verhandeln. Einlösen müssen ihn vor allem die Soldaten der Bundeswehr, die von der Bundesregierung in Einsätze geschickt werden, von denen niemand weiß, wann und wie sie enden.
Der in Mali wird dabei einer der gefährlicheren werden. Der Norden des Landes ist Afrikas Afghanistan.