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Leitartikel: Die Deutschen und die Aktie
Von Michael Deppisch michael.deppisch@mainpost.de
 |  aktualisiert: 11.12.2019 19:53 Uhr

Soll man oder soll man nicht? Kann man jetzt noch Aktien kaufen – oder ist es doch schon zu spät, droht bald gar schon ein heftiger Rückschlag? Nach einem heißen Börsenmonat scheint die alte Parkett-Regel – „sell in may and go away“ (verkaufe im Mai und verschwinde) – außer Kraft gesetzt. Denn trotz des massiven Rückschlags von vergangener Woche, als im Sog des japanischen Nikkei-Index weltweit die Börsen ins Rutschen kamen, scheinen die Kurse derzeit nur eine Richtung zu kennen: die nach oben.

In gerade einmal fünf Wochen hat der DAX seit Ende April rund 1000 Punkte oder etwa 13 Prozent zugelegt. Im Vergleich zum Stand Ende Mai vergangenen Jahres sind es gar an die 2500 Punkte, also gut 40 Prozent. Angesichts der Rekordstände bei Deutschlands Aktienbarometer sei jedoch ein Hinweis erlaubt: Wir sprechen beim DAX von einem sogenannten Performance-Index. Hier werden die Dividenden rechnerisch gleich wieder in die jeweilige Aktie investiert. Über die Jahre macht das im Vergleich zu einem Kurs-Index – wie es fast alle anderen internationalen Aktienindizes sind – einen gewaltigen Unterschied. So liegt der Kurs-DAX, der ein mediales Schattendasein führt, mit aktuell 4500 Punkten noch weit unter seinem Höchststand von über 6000 Punkten im März 2000.

Was sagt uns das? Nun zum einen, dass auch an der Börse Äpfel mit Birnen verglichen werden. Doch die Diskrepanz zwischen den beiden ungleichen Index-Brüdern gibt auch einen wichtigen Hinweis auf die Dividendenstärke der deutschen DAX-Konzerne: Ein Drittel des Wertzuwachses von Siemens, VW und Co. machen über die Jahre die Dividendenzahlungen aus. Alles in allem scheinen unter diesem Licht DAX-Aktien nicht zu hoch bewertet.

Exakt das hört man derzeit denn auch von den zahlreichen Aktienfans unter Bankern, Fondsmanagern und Finanzjournalisten. Ohne Aktien könne man langfristig auf keine vernünftige Rendite mehr kommen, heißt es da. Und: Anteilsscheine an gut verdienenden Unternehmen seien – im Gegensatz zu vielen anderen Finanzprodukten – zudem noch echte Sachwerte.

Argumente, die durchaus zutreffen. Die Themen Sicherheit und Inflationsschutz treiben auch viele Kleinanleger um. Wer sein Erspartes zu Minizinsen auf dem Konto liegen hat, verliert Monat für Monat Geld. Den Deutschen sollen so an die zehn Milliarden Euro im Jahr flöten gehen, haben Experten kürzlich berechnet. „Finanzielle Repression“ nennen Volkswirte diese schleichende Sparer-Enteignung.

Also, was spricht dann noch gegen die Aktie? Sagen wir es so: Es kommt darauf an. Der Spargroschen hat an der Börse nichts zu suchen. Man muss schlicht und einfach Geld übrig haben, Mittel, die man auch langfristig nicht fürs Leben braucht. In dieser Situation sind in der Regel erst ältere Menschen: Die Kinder aus dem Haus, die selbst genutzte Immobilie abbezahlt – das sind die potenziellen Aktionäre von heute. Gerade aber der aktienaffine Teil der Generation 50plus hat sich im trügerischen Börsenboom Ende der 90er Jahre oft bös die Finger verbrannt – und lässt Aktien heute links liegen.

Und so bleibt Deutschland ein Land, in dem die internationalen Investoren gerne ihr Kapital anlegen, die einheimischen Sparer sich aber nicht an die Börse trauen. Aber vielleicht ist das Ruhig-schlafen-Können ja ein Wert an sich: Denn der nächste Börsencrash – er kommt. Früher oder später. Ganz sicher.

 
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