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Leitartikel: Die alte Furcht vor dem starken Staat sitzt tief
Martin Ferber
Martin Ferber
 |  aktualisiert: 10.02.2017 03:54 Uhr

Den ausdrücklichen Segen von SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte er. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller sollte im Jahr der Bundestagswahl den Beweis antreten, dass ein rot-rot-grünes Bündnis nicht nur als eine Schimäre im Fantasialand von linken Sozialdemokraten, grünen „Fundis und den „Realos“ bei den Linken existiert, sondern tatsächlich möglich ist und in der Realität funktioniert. Für die SPD eine Überlebensfrage – sie benötigt dringend eine Machtoption jenseits der Juniorpartnerschaft in der Großen Koalition.

Doch nach nur wenigen Wochen sind die Träume von der Alternative wie eine Seifenblase zerplatzt. In der Hauptstadt hat die rot-rot-grüne Koalition einen Fehlstart hingelegt, der weit über das Rote Rathaus hinaus strahlt. Erst schleppten sich die Koalitionsverhandlungen mühsam dahin, weil sich die drei Partner argwöhnisch belauerten, dann überschattete die Debatte um die Stasi-Vergangenheit von Staatssekretär Andrej Holm von den Linken die Regierungsarbeit.

Der bislang eher glücklos wirkende Rathauschef Müller zog nun die Notbremse und kündigte an, Holm zu entlassen, allerdings ohne die Linken vorab zu informieren. Entsprechend groß ist die Empörung beim Koalitionspartner.

Abschiebungen aus Angst vor der eigenen Basis abgelehnt

Aber auch inhaltlich kommt Rot-Rot-Grün nicht von der Stelle. Das schwere Attentat am 19. Dezember erwischte den Senat kalt, die Forderungen des SPD-Innensenators nach mehr Videoüberwachung lehnten Linke und Grüne erst einmal kategorisch ab, von Abschiebungen wollen die Koalitionäre ohnehin nichts wissen, sie sollen, heißt es im Koalitionsvertrag, nur „Ultima Ratio“ sein. Eine Verschärfung der Sicherheitsgesetze können und wollen sie ihrer Basis nicht zumuten. Wie in Berlin, so auch im Bund. Seit dem Anschlag von Berlin sind Linke und Grüne in der Defensive, mehr noch, in der Debatte um die Erhöhung der inneren Sicherheit, die den Bundestagswahlkampf maßgeblich prägen will, agieren sie widersprüchlich. Mit dem Thema können sie nicht gewinnen, nur verlieren, entweder beim Wähler oder bei der Basis. Zwar erkennen sie im Grundsatz das Bedürfnis der Menschen nach Schutz und Sicherheit an, doch eine Stärkung der Polizei, mehr Kompetenzen für die Sicherheitsbehörden und ein härteres Vorgehen gegen kriminelle Ausländer stoßen auf Widerstand.

Der grüne Richtungsstreit zwischen Realos und Fundis

Bei den Linken versucht Fraktionschefin Sahra Wagenknecht mit einer Reihe von provokanten Äußerungen, die AfD mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, um auf diese Weise die verloren gegangenen Protestwähler zurückzuholen. Doch damit steht sie bei den Linken allein auf weiter Flur. Erst jüngst sah sich Parteichef Bernd Riexinger veranlasst, Wagenknecht verbal die gelbe Karte zu zeigen. Ein schlüssiges Konzept jedenfalls hat die Linke nicht.

Und die Grünen werden wieder einmal vom längst überwunden geglaubten Richtungsstreit zwischen den Realos und den Fundis gelähmt. Im Kern geht es dabei nicht um die Frage Rechts/Links oder Regierung/Opposition, sondern um die zentrale politische Ausrichtung der Ökopartei insgesamt: Bleibt sie im linken Lager an der Seite der SPD – oder wird sie zur Scharnierpartei, die bereit ist, nicht nur in zwei Ländern, sondern auch im Bund ein Bündnis mit der CDU einzugehen und Angela Merkel als Kanzlerin mitzutragen? In der Debatte um die innere Sicherheit treten die Differenzen offen zutage.

Der frühere Außenminister Joschka Fischer brach 1999 das erste große Tabu der Grünen und brachte ihnen bei, dass die äußere Sicherheit notfalls mit einem Einsatz der Bundeswehr gewährleistet werden muss. Doch eine Person von seinem Kaliber, der auch das zweite Tabu bricht und die Grünen lehrt, dass zur inneren Sicherheit handlungsfähige Sicherheitsbehörden unabdingbar sind, ist nicht in Sicht. Die alte Furcht vor dem scheinbar starken Staat ist noch immer übermächtig.

 
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  • Apfelkorn
    Wieder ein guter Leitartikel.
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