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WÜRZBURG
Leitartikel: Der Urlauber, das politische Wesen
Die geänderten Reisehinweise für den Türkei-Urlaub sind ein Ausdruck des zugespitzten deutsch-türkischen Verhältnisses. Soll man reisen? Und warum vielleicht nicht?
Leitartikel: Der Urlauber, das politische Wesen       -  Ein Mann genießt den Sonnenuntergang am Belek Beach in der Türkei.
Foto: dpa | Ein Mann genießt den Sonnenuntergang am Belek Beach in der Türkei.
Martina Riederle
 |  aktualisiert: 15.07.2024 08:52 Uhr

Geht es eigentlich noch schlimmer? Es geht. Gefühlt jeden Tag verschlechtert sich das europäisch-türkische, das deutsch-türkische Verhältnis weiter. Und jetzt hat das Auswärtige Amt in Berlin mit den verschärften Reisehinweisen für das Land am Bosporus im Grunde auch Urlaubern ans Herz gelegt, über eine Türkei-Reise gut nachzudenken.

Die Formulierung lautet natürlich nicht „reist nicht“. Sondern: „Im Zuge des Wahlkampfes muss mit erhöhten politischen Spannungen und Protesten gerechnet werden, die sich auch gegen Deutschland richten können. Hiervon können im Einzelfall auch deutsche Reisende in der Türkei betroffen sein. Reisenden wird daher empfohlen, sich von politischen Veranstaltungen und grundsätzlich von größeren Menschenansammlungen fernzuhalten.“ Für den gemeinhin übervorsichtigen und stets ausgesprochen diplomatischen Umgang Berlins mit Reisehinweisen und -warnungen weltweit ist diese Formulierung doch einigermaßen deutlich.

Haben Sie Lust darauf, sich beschimpfen zu lassen?

Man könnte ganz undiplomatisch auch einfach so fragen: Haben Sie angesichts der Repressionen gegen Journalisten und Oppositionelle im Land sowie angesichts der aufgeheizten Stimmung vor der Hoteltür Lust auf unbeschwerten Urlaub in einer sicher sicheren All-Inclusive-Anlage? Haben Sie Lust darauf, sich mindestens von türkischen Politikern als Nazi und Terror-Unterstützer beschimpfen zu lassen – und trotzdem noch dafür zu sorgen, dass Geld in die türkische Wirtschaft fließt?

Möchten Sie zuschauen, wie ein eigentlich dem Westen und seinen Werten zugewandtes Land Kurs Richtung Diktatur nimmt, während Ihnen die Sonne auf den Bauch scheint? Und möchten Sie aufpassen müssen, was Sie sagen – denn das Auswärtige Amt warnt auch: „Es wird dringend davon abgeraten, in der Öffentlichkeit politische Äußerungen gegen den türkischen Staat zu machen“?

Keine Frage: Viele Reiseziele dieser Welt, die touristisch interessant und beliebt sind, sind nicht unbedingt Vorzeige-Demokratien. Und in allen diesen Fällen sollte jeder abwägen und sich bewusst entscheiden, warum er was tut – oder eben auch nicht. Es ist schließlich nicht neu, dass Urlaub mit Politik zu tun hat. Auch wenn die Branche sich jahre-, ja jahrzehntelang mantrahaft bemüht hat, diese Gleichung nicht gelten zu lassen – und stattdessen den völkerverbindenden Gedanken des Reisens betont hat. Darauf verwiesen hat, dass wir als Reisende in der Ferne den Umgang mit Freiheit vorleben könnten. Dass wir selbst im Ausland Verständnis für das Fremde und das Fremdsein lernen könnten. Und dass wir letztlich etwas für die Jobs und die Wirtschaft im Urlaubsland, damit also für die Menschen dort tun würden.

Auch wir stimmen mit unserer Entscheidung ab

Doch müssen wir deshalb wegschauen und gleichgültig die Schultern zucken? Müssen wir nicht. Wir dürfen nicht nur wollen, dass unsere Regierung klar Position bezieht. Wir können mit unserer Urlaubsentscheidung auch „abstimmen“.

Wir haben die Freiheit, uns zu entscheiden: Wollen wir Urlauber diese Entwicklung ignorieren, solange Bequemlichkeit und Buffet zum All-Inclusive-Preis stimmen? Oder sind wir bereit, auch selbst mal Kante zu zeigen und auf die günstige Buchung zu verzichten?

Schon 2016 sind die Besucherzahlen in der Türkei um 30 Prozent eingebrochen. Anschläge auf Urlauber, der Militärputsch, politische Unsicherheit und Radikalisierung: Wie es touristisch weitergeht in diesem so sehr besuchenswerten Land am Bosporus hängt ganz stark auch davon ab, wie es politisch weitergeht. Und selbst wenn sich nach dem Referendum für Erdogans Präsidialreform Mitte April Stimmung und Lage entspannen sollten: Porzellan zerschlagen wurde im deutsch-türkischen Verhältnis so reichlich, dass die Wunden in dieser Reise-Saison wohl kaum zu heilen sind.

 
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  • al-holler@t-online.de
    bitte nicht nach dem Deutschen Staat schreien, wenn was schief geht!
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  • Mainpostonlinezugang
    Deutsche Reiseanbieter sollten auf die Frechheiten reagieren und die Türkei aus ihren Katalogen streichen! Dieses Land muss isoliert werden, denn erst wenn die Wirtschaft völlig am Boden liegt werden die Türken ihren Sultan stürzen oder zur Ziegenzucht als einzige Einnahmequelle zurückkehren müssen.
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  • jebusara@web.de
    Man kann auch in anderen Ländern wunderbar Urlaub machen, die Türkei war halt billig und von da her beliebt. Geiz ist geil.

    Wenn man Türken kennenlernen möchte kann man das sehr gut in Deutschland. Schaut euch um, sind genug hier!
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  • Einwohner
    Klar, jeder hat eine eigene Meinung, eine eigene Wahl und jeder muss seine Entscheidung mit seinem Gewissen vereinbaren.
    Es ist aber auch interessant, dass man nun wieder versucht das Thema auf jeden einzelnen abzuladen, jedem ein schlechtes Gewissen zu machen und jeden kritisiert der für sich eine andere Entscheidung trifft. Die (Berufs)-Politiker in Berlin verkriechen sich und haben keine Rückgrat eine Entscheidung zu treffen. Sie verstecken sich hinter ausländischen Regierungen und kleinen deutschen Provinz-Politikern die wenigstens den*******in der Hose haben hier mal dagegen zu halten. Eine Schande.
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  • ra.kellermann@gmx.de
    ist diese Frage ernst gemeint?? Die türkische Erdo-Führung hat mit dem A... eingerissen, was sie Jahre zuvor an Verbesserungen aufgebaut hat. Urlaub in der Türkei? In diesem Jahrhundert wohl nicht mehr. Mir ist ganz ehrlich schon der Appetit auf Döner vergangen, wenn ich dran denke, dass die Überzahl der Türken hierzulande Fans dieses Regimes sind...
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  • Franken48
    Wenn mir einer eine Reise in die Türkei schenken würde nicht mal dann würde ich sie annehmen. Zu so einem der nur Frechheiten los lässt, geht man bestimmt nicht mehr.
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