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Leitartikel: Der russische Bär zeigt seine Krallen

Von Folker Quack

folker.quack@mainpost.de

 |  aktualisiert: 31.03.2014 19:13 Uhr

Selten war die internationale Politik so spannend wie in diesem Jahr. Alte Krisen- und Konfliktherde wie Syrien oder der Iran werden von der Ukraine überlagert, neue Allianzen scheinen möglich, aber auch Gefahren wie der Rückfall in den Kalten Krieg. Selbst eine militärische Auseinandersetzung mitten in Europa kann niemand ganz ausschließen.

Die USA und Europa rücken nach den Wirrungen der NSA-Abhöraffäre wieder enger zusammen. Das politische Verhältnis Europas zu China bekommt eine neue Qualität, weil Peking vorsichtig auf Distanz zu Moskau geht. Denn nichts fürchten die Chinesen mehr als Volksabstimmungen über territoriale Fragen. Tibet lässt grüßen. Und in der Europäischen Union bildet sich eine Achse Paris-Berlin-Warschau, die der Außenpolitik Europas neue Stabilität geben kann.

Und das alles, weil sich der russische Bär die Krim einverleibt hat, die völkerrechtlich zur Ukraine gehört. Da darf die Staatengemeinschaft nicht zur Tagesordnung übergehen. Aber kann man mit Altbundeskanzler Helmut Schmidt nicht auch ein gewisses Verständnis für Wladimir Putin haben?

Die Geschichte der Krim und der Ost-Ukraine ist eine russische. Nikita Chruschtschow schenkte die Halbinsel 1954 der Ukraine, als diese fester Bestandteil der Sowjetunion war. Als Nationalstaat existierte die Ukraine gerade mal von 1917 bis 1920. Es war ein dunkles Kapitel, geprägt von einer nationalistischen Schreckensherrschaft.

Wäre die Ukraine 1954 ein eigenständiger Staat gewesen, niemals hätte Chruschtschow ihr die Krim überlassen. Seit dem 18. Jahrhundert ist Sewastopol der Hauptstützpunkt der legendären russischen Schwarzmeerflotte. Zudem ist die Krim beliebtes Urlaubsziel reicher Russen.

Betrachten wir die Vorgänge doch mal unabhängig von Wladimir Putin, der wirklich alles andere als ein lupenreiner Demokrat ist. Hätte nicht auch jeder andere russische Präsident versucht, die Krim in seiner Einflusssphäre zu behalten? Dort leben vorwiegend Russen. In beiden Weltkriegen hat Deutschland versucht, die Ukraine von Russland zu lösen, nicht in erster Linie um der Ukraine zu helfen, sondern um den Russen zu schaden.

Schön, wenn heute unsere Werte wie Freiheit, Demokratie und Menschenrechte eine faszinierende Ausstrahlung haben. Aber die Europäische Union und die Vereinigten Staaten von Amerika haben auch knallharte wirtschaftliche und geopolitische Interessen an der Ukraine. Und Moskau eben auch.

Dabei wäre eine Einigung über die Krim sicherlich leicht möglich gewesen, aber Putin ging und geht es um mehr. Er fürchtet Aufstände wie auf dem Maidan im eigenen Land. Ansätze dazu haben wir voriges Jahr immer wieder gesehen. Das konsequente Vorgehen auf der Krim war auch nach innen gerichtet.

Dennoch, Freiheit, Demokratie und Menschenrechte lassen sich nicht wie Waren exportieren. Sie müssen vor dem jeweiligen politischen, historischen und kulturellen Hintergrund wachsen. Das muss man unterstützen, aber nicht zum alleinigen Maßstab von Außenpolitik machen.

Nachdem weite Teile des ehemaligen Ostblocks heute fest in westlichen Bündnissen verankert sind, sollten wir den russischen Bären nicht weiter in die Ecke drängen, sonst zeigt er uns immer unverhohlener seine Krallen.

 
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