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Leitartikel: Der Pass bestimmt nicht das Ich
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 23.08.2016 03:23 Uhr

Der Vorschlag ist einer dieser ewigen Wiedergänger der politischen Diskussion, die Betroffenen können ihn schon lange nicht mehr hören: Um die innere Sicherheit zu erhöhen, soll die doppelte Staatsbürgerschaft abgeschafft werden. Gut, die Bundesregierung hat diese Forderung der Unionsinnenminister bereits zurückgewiesen, aber das Signal bleibt: Der Staat könne doch bitte erwarten, dass jeder seiner Bürger sich loyal zu ihm bekenne.

Klingt im ersten Moment gar nicht so unvernünftig. Ein demokratisches Gemeinwesen, ein offenes zumal, ist darauf angewiesen, dass möglichst viele ihren Teil beitragen. Warum dabei aber ein zweiter Pass ein Hindernis sein soll, das hat schon Edmund Stoiber mit seinem Spruch vom „Sicherheitsrisiko“ Ende der 1990er Jahre nicht schlüssig erklären können.

Im Grunde liegt der Forderung nationalistisches Denken zugrunde: dass nämlich die Zugehörigkeit zu einer Nation (und nur zu dieser) das innerste Selbstverständnis eines Menschen, seine Identität ausmacht.

Man kann in diesem Zusammenhang nicht oft genug auf den dritten Präsidenten dieser Republik verweisen, auf Gustav Heinemann, der auf die Frage, ob er diesen Staat denn nicht liebe, antwortete: „Ach was, ich liebe keine Staaten, ich liebe meine Frau. Fertig!“

Nur am Rande sei vermerkt, dass das ohnehin nicht geht: jemanden auffordern, jemanden oder etwas zu lieben.

Ganz abgesehen davon, dass die größte Gruppe der rund 4,3 Millionen Doppelstaatler mit 700 000 Mitgliedern die Polen sind, die bislang in Sachen terroristischer Aktivitäten eher unauffällig waren: Glaubt wirklich jemand, dass ein deutscher Pass einen Menschen davon abhalten kann, sich zu radikalisieren und gewalttätig zu werden?

Als 2014 die Optionspflicht abgeschafft wurde, als sich junge Menschen also nicht mehr mit 23 Jahren für eine von zwei Staatsbürgerschaften entscheiden mussten, ging es darum, Kindern aus Elternhäusern mit Migrationshintergrund Identitätskonflikte zu ersparen.

Nach Jahrzehnten mühsamer Diskussionen war eine Lösung gefunden und ein Angebot geschaffen worden, das ja auch zeigen sollte, dass die Politik verstanden hatte, dass sich Menschen, die in und mit zwei Kulturen aufgewachsen sind, nicht einfach für eine Zugehörigkeit entscheiden können. Und dass es auch keinen Grund gibt, sie dazu zu zwingen.

Die Verbotsforderung spiegelt also – ähnlich wie das Gefasel von der deutschen Leitkultur – die mehr oder weniger diffuse Angst vor Unbestimmtheit, Unkontrollierbarkeit, Unübersichtlichkeit. Vor unzuverlässigen Staatsbürgern, unsicheren Kantonisten und, ja, letztlich vaterlandslosen Gesellen.

Es wäre dennoch naiv zu behaupten, die Idee der Nation habe sich inzwischen überlebt. In fast allen Ländern der westlichen Welt machen sich Rechtspopulisten und Nationalisten diese Ängste zunutze und setzen ethnische, kulturelle, religiöse Vielfalt gleich mit Identitätsverlust und Chaos.

Trotzdem sind andere Zugehörigkeiten weit prägender als die zu einem Staat: zu Familie, Freundeskreis, Kollegen, Verein, Heimatort, Region. Die wenigsten Deutschen empfinden vermutlich Loyalität ausschließlich und unbedingt zur deutschen Nation. Und vor denen, die das tun, sollte man sich wohl eher in Acht nehmen.

 
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  • L. W.
    Solange es Leute gibt, die wie Sie den Veröffentlichungen des Kopp-Verlag vertrauen muss man sich ernsthaft Gedanken um das deutsche Bildungssystem machen.
    Wird in unseren Schulen so wenig Wert auf die Schulung der Vernunft gelegt, dass diese Unruhestifter so leicht so viel Erfolg haben können?

    Patriotismus ist für sich genommen ja ein positiver Zug an einem Menschen.
    Jedoch sollte dieser patriotische Wesenszug nicht in Xenophobie umschlagen, denn alle Menschen sind Ausländer, zumindest fast überall.

    Patriotismus sollte auch beinhalten, dass man den Staat in seiner Form achtet und seine Staatsorgane nicht unbegründet verleumdet. Gerade das geschieht jedoch durch diejenigen, die vorgeben besonders gute Patrioten zu sein.
    Statt sachlicher Kritik kommt aus der Reihe dieser angeblichen Patrioten Schmähungen und Beleidigungen unserer gewählten Staatsorgane.
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  • R. S.
    Einen Staat und deren Repräsentanten kann ich nur respektieren, wenn diese(r) auch die Gesetzte ihres eigenen Staates und die Bürger, die sie gewählt haben, respektieren.

    Die "Lady" aus der Uckermark und die von ihr gezogenen Speichellecker sind es nicht wert, deshalb gehören Sie abgewählt.

    Ebenso destruktiv wie unsere Politiker sind diejenigen in unserer Bevölkerung, die sehenden Auges weiterhin fordern, dass wir "Flüchtlinge" in Maßen aufnehmen.
    Ob Ihnen das gefällt oder nicht, das wird uns das Genick brechen.
    Alle anderen Länder in und außerhalb Europas, verstehen nicht, wie wir deutschen so blöd sein können Und selbst zu zerstören.

    Das hat übrigens nicht nur etwas mit Patriotismus zu tun, sondern auch mit einem gesunden Selbsterhaltungstrieb, der leider vielen Menschen in D inzwischen abhanden, oder aberzogen wurde.

    So long!
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  • L. W.
    Gegen Abwählen von Politikern, von denen man sich nicht gut vertreten fühlt ist erst mal nichts einzuwenden.
    Das ist ja das Schöne an der parlamentarischen Demokratie, dass wenigstens alle vier Jahre die Mehrheit des Volkes von der Richtigkeit der politischen Maßnahmen der Vergangenheit überzeugt werden muss.
    Es steht auch jedem jederzeit frei über politische Ansichten zu schreiben und zu reden und diese Äußerungen in allen möglichen Medien zu verbreiten.
    Jedoch finde ich es nicht hinnehmbar, wenn Galgen und Guillotinen mit Namen der Spitzenpolitiker durch die Straßen getragen werden.
    Darüber hinaus werden von angeblichen Nationalisten die öffentlichen Organe genauso ausgenutzt, wie sie es anderen vorwerfen. Warum nur hat die AfD in Sachsen den Ruf die faulste Fraktion zu sein? Weil ihre Politiker die Tantiemen einstecken, ohne ernsthaft dafür zu arbeiten.
    Mit sachlicher Kritik und guter Arbeit kommt Deutschland voran nicht mit Polemik und Hetze über gewählte Politiker.
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  • R. S.
    "Die wenigsten Deutschen empfinden vermutlich Loyalität ausschließlich und unbedingt zur deutschen Nation. Und vor denen, die das tun, sollte man sich wohl eher in Acht nehmen."

    Herr Wiedemann, so lange wir Menschen wie Sie haben, müssen wir, meiner Meinung nach, noch mehr Angst in D haben.
    Nationale Gedanken waren und sind nicht verkehrt. Aber Ihresgleichen will scheinbar die Nation D mit Gewalt kaputt machen.
    Sehen Sie mal zu, dass für Sie noch etwas Rente übrig bleibt, wenn die ganzen Migrationsschmarotzer durchgefüttert wurden. Mit ihnen auch die großen Familienclans, vor denen sogar unsere Richter, nicht nur die armen Polizisten vor Ort, Angst haben.
    Winken und schwenken Sie weiter Fähnchen am Bahnhof, Sie werden schon sehen, was das bringt.
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