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Leitartikel: Der Mindestlohn wird überschätzt
Von Folker Quack folker.quack@mainpost.de
 |  aktualisiert: 03.07.2014 18:55 Uhr

Deutschland ist Exportweltmeister, Deutschland ist die führende Industrienation Europas, Deutschlands Sozialsysteme gelten vielen als Vorbild – und doch ist Deutschland auch Schlusslicht. Erst als 22. von 28 EU-Mitgliedstaaten bekommt die Bundesrepublik einen gesetzlichen Mindestlohn.

Ja, dieser Mindestlohn war fällig und er ist gerecht. Er verleiht der menschlichen Arbeit ihren angemessenen Wert und gibt dem Arbeitnehmer damit auch ein Stück Würde. Er schützt vor Ausbeutung und vor Billigkonkurrenz aus dem Ausland. Er sorgt dafür, dass Menschen von ihrer Arbeit auch leben können. Er durchkreuzt Geschäftsmodelle, die auf Ausbeutung und Dumpinglöhne gegründet sind. Da dort Beschäftigte fast immer auf staatliche Unterstützung angewiesen waren, subventionierte die Allgemeinheit derartiges, dubioses Geschäftsgebaren.

Nicht zuletzt lohnt sich Arbeit wieder: Legt man eine 38-Stunden-Woche zugrunde, erhält ein Arbeitnehmer mit Mindestlohn netto über 300 Euro im Monat mehr als ein vergleichbarer Hartz-IV-Empfänger (Steuerklasse I, ohne Kinder).

Wenn er dann überhaupt noch einen Job hat, wenden Kritiker ein. Sie befürchten, dass der Mindestlohn in Deutschland Arbeitsplätze vernichten wird. Das ifo-Institut für Wirtschaftsforschung rechnet mit bis zu 1,2 Millionen Arbeitslosen mehr durch die Einführung des 8,50-Euro-Mindestlohns. Das entspricht bestimmt nicht zufällig der Zahl derer, die in Deutschland für Löhne unter fünf Euro die Stunde arbeiten. Doch die Branchen, in denen vor dem gesetzlichen Mindestlohn die Tarifparteien einen Mindestlohn vereinbarten, der oft sogar über den 8,50 Euro liegt, bestätigen diese Befürchtungen nicht. Nirgends wurden nennenswert Stellen abgebaut: nicht bei den Friseuren, nicht bei den Gebäudereinigern, nicht in der Zeitarbeit.

Mag sein, dass die eine oder andere Dienstleistung teurer wird, doch entspricht das dann eben ihrem echten Wert. Nehmen wir nicht ständig und bei vielen Produkten Preissteigerungen klaglos hin? Warum nicht auch bei Dienstleistungen, die uns wichtig sind?

Doch sollte man das Instrument nicht überbewerten. Weniger wegen der Ausnahmen, die Sinn machen. Vor allem dort, wo sich Schüler oder Rentner ein paar Euro dazuverdienen, Praktikanten erste Erfahrungen mit der Berufswelt sammeln. Natürlich wird genau zu beobachten sein, dass die Ausnahmen nicht das ganze Instrument aufweichen.

Armut bekämpft der Mindestlohn aber nur sehr partiell: Wer eine Familie ernähren muss, oder als Single in einer Großstadt mit hohen Mieten wohnt, wird auch mit Mindestlohn dem Armutsrisiko nicht entgehen. Zudem leben viele Niedriglohnbezieher (etwa Schüler oder Minijobber) nicht in armen Haushalten.

Mit der Einführung ist es jedoch lange nicht getan. Denn es wäre niemandem geholfen, wenn der Mindestlohn schlicht umgangen wird oder Niedriglöhner in die Schwarzarbeit gedrängt werden. Nur bessere staatliche Kontrollen können das verhindern.

Übrigens: Die Summe aller Löhne in Deutschland wächst durch die Einführung des Mindestlohns um bescheidene 1,0 bis 1,5 Prozent. Das steigert weder die Binnennachfrage noch gefährdet es Deutschlands Rolle als Exportnation. Aber eines der reichsten Länder der Welt sollte sich das leisten können.

 
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