Aus dem Chor der politischen Taktierer ragte ausgerechnet die Stimme von CSU-Chef Horst Seehofer klar hervor. Der Bundesinnenminister war am Montag das einzige Kabinettsmitglied, das ein deutliches Bekenntnis zum Fachkräftezuwanderungsgesetz ablieferte. „Wir streben nach wie vor die Kabinettsbefassung am nächsten Mittwoch an“, ließ er über eine Sprecherin erklären. Andere zuständige Ressorts, etwa das Arbeitsministerium von Hubertus Heil (SPD) oder das Wirtschaftsministerium von Peter Altmaier (CDU), blieben stumm. Eigentlich soll das Fachkräftezuwanderungsgesetz am Mittwoch im Kabinett beschlossen werden. Ob es dazu kommt, ist derzeit jedoch völlig ungewiss.
Sollte sich die Ministerriege um Kanzlerin Angela Merkel am Mittwochvormittag nicht mit dem Fachkräftezuwanderungsgesetz beschäftigen und keinen Beschluss fassen, dann wäre das eine mittlere Katastrophe fürs Land. Die vier großen deutschen Wirtschaftsverbände BDA, ZDH, DIHK und BDI brachten es in einem Brandbrief an die Regierung am Montag auf den Punkt: „Die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland hängt in entscheidendem Maße davon ab, dass eine ausreichende Zahl von gut qualifizierten Fachkräften zur Verfügung steht“, schrieben die Chefs der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, des Deutschen Industrie- und Handelskammertages und des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks.
An der Weltspitze bleiben und nicht ins Hintertreffen geraten
In der Tat: Der deutsche Wirtschaftsmotor läuft längst nicht mehr so hochtourig wie in den letzten Jahren. Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute senken ihre Prognosen, begleitet wird die Abkühlung von einer gefährlichen Entwicklung bei Deutschlands wichtigstem Handelspartner: Für die USA befürchten einige Experten in 2019 die Gefahr einer Rezession. Deutschland muss deshalb mächtig Gas geben, um an der Weltspitze dranzubleiben und gegen Planwirtschaften wie China nicht ins Hintertreffen zu geraten. Der Zündschlüssel dafür ist die Deckung des Fachkräftemangels, denn auch der Laie weiß: Ohne gut ausgebildete Ingenieure, Monteure oder Computerspezialisten ist der Ofen bald aus. Und unter den Flüchtlingen aus dem Iran, Syrien und anderen Länder befinden sich viele dieser dringend gesuchten Experten.
Querschüsse aus den Reihen von CDU und CSU
Da nimmt es wunder, dass ausgerechnet einflussreiche Gruppen der Wirtschaftsparteien CDU und CSU gegen das Gesetz mobil machen. Sie fürchten die Schaffung von „Missbrauchsmöglichkeiten“ sowie „mögliche Fehlanreize“, wie es in einem Schreiben der Abgeordneten Mathias Middelberg und Joachim Pfeiffer an Seehofer und Altmaier heißt, das dieser Redaktion vorliegt. Middelberg und Pfeiffer sind nicht irgendwer, der eine steht der Arbeitsgruppe Innen und Heimat, der andere der Arbeitsgruppe Wirtschaft und Energie im Bundestag vor. Sie kritisieren unter anderem die in ihren Augen zu lasche Fassung der sogenannten 3-plus-2-Regelung, wonach auf eine erfolgreich abgeschlossene Ausbildung ein zweijähriges Aufenthaltsrecht folgen kann, und setzen sich für schärfere Regeln ein.
Nachbesserungen an einem Gesetz kann man fordern, das ist der normale demokratische Vorgang. Allerdings beginnt das parlamentarische Verfahren erst mit dem Kabinettsbeschluss. Middelberg und Pfeiffer hätten also noch genug Zeit gehabt, ihre Bedenken anzumelden. Dass sie es jetzt schon tun, belastet den Entscheidungsprozess und macht ihn anfällig für Attacken aus der AfD. Die Unions-Kritiker des geplanten Gesetzes stehen nicht einmal ansatzweise dem AfD-Lager nahe, das steht völlig außer Frage. Mit ihrem Sperrfeuer bedienen sie jedoch völlig unnötig deren öffentlich geäußerten Ressentiments gegen Flüchtlinge und Migranten, die da lauten: Die kommen und nehmen uns alles weg.