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Leitartikel: Der IS geht strategisch vor
Benjamin Stahl
 |  aktualisiert: 16.07.2016 03:34 Uhr

Am Montag endete der Ramadan. Der muslimische Fastenmonat gilt als Zeit des Friedens, Kriege sind verboten. Eigentlich. Denn die Terrormiliz Islamischer Staat ruft ihre Anhänger Jahr für Jahr gerade während des Ramadans zum Kampf gegen die Ungläubigen auf und sieht sich damit in der Tradition des Propheten Mohammed. Der gewann im Jahr 624 während des Fastenmonats eine seiner wichtigsten Schlachten. Doch dem IS ging es in den vergangenen Wochen nicht darum, einem Beispiel Mohammeds zu folgen. Das Blutbad in einem Nachtclub in Orlando, der Überfall auf eine Polizistenfamilie in Paris, der Anschlag auf den Flughafen in Istanbul, die Geiselnahme in Dhaka, die Bombe in Bagdad – die Ziele des jüngsten IS-Terrors scheinen willkürlich gewählt, doch hinter der weltweiten Anschlagsserie steckt eine Strategie.

Der IS scheint sich die Welt in vier Regionen aufgeteilt zu haben: Das IS-Kerngebiet mit Syrien und Irak, zweitens die angrenzenden Machtzentren wie die Türkei, drittens die restliche muslimische Welt und schließlich der Westen. Und so zynisch es klingt: Jeder dieser Regionen hat der IS eine maßgeschneiderte Terrorstrategie zugedacht. So setzt man im Westen vor allem auf sogenannte einsame Wölfe.

Deren Taten sollen Gesellschaften gegen ihre Regierungen, die der Anti-Terror-Allianz angehören, aufhetzen. Und gegen muslimische Migranten, die sich dann – so das Kalkül – ausgegrenzt in die Arme des IS flüchten.

In Bagdad antwortete die Terrormiliz dagegen auf die militärischen Niederlagen in ihrem irakischen Kernland am Samstag mit einer Autobombe. Ziel: die Instabilität des Landes und den Streit zwischen Schiiten und Sunniten verschärfen. Wie gut das gelingt, zeigte der Besuch des irakischen Regierungschefs am Anschlagsort. Aufgebrachte Anwohner warfen Steine auf den Konvoi des Premiers. Die Schiiten fühlen sich von ihrer Regierung nicht vor der sunnitischen Terrormiliz geschützt.

Auf Destabilisierung zielte auch der jüngste Anschlag in der Türkei, die dem IS zu unislamisch ist. Der Terror am Atatürk-Flughafen traf nicht nur die krankende türkische Tourismusbranche, sondern schürte weiter Angst in dem Land, das auch unter kurdischem Terror leidet. So soll der Nato-Staat geschwächt werden, den der IS – neben Saudi-Arabien und Iran – als größte Konkurrenz um die Vorherrschaft in der islamischen Welt ansieht. Dass hier ein Bekenntnis des IS ausblieb, weckt indes kaum Zweifel an dessen Urheberschaft.

Zu ähnlich ist das komplexe Istanbuler Anschlagsmuster dem des Angriffs auf den Brüsseler Flughafen im März. Es zeigt vielmehr, dass der IS Bekenntnisse vermeidet, wo sie schaden – in der Türkei könnte es Sympathisanten abschrecken –, und einsetzt, wo sie nutzen. Wie in Bangladesch. Dort sollte die tödliche Geiselnahme vom Freitag die Präsenz des IS in den entlegensten Ecken der muslimischen Welt demonstrieren. Die Regierung des Landes, in dem der IS mit El Kaida konkurriert, übt derweil Imagepflege und macht einheimische Islamisten für die Tat verantwortlich. Man will nicht, dass das Land neben Korruption auch mit internationalem Terrorismus assoziiert wird.

Dass der IS-Terror mit dem Ramadan endet, glauben Experten nicht. Der Fastenmonat wurde lediglich als Legitimation missbraucht – der IS wird eine neue für sein blutiges Werk finden. Auch, weil er zunehmend militärisch unter Druck gerät.

 
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