Nichts ist passiert. Weder sind die Arbeitslosenzahlen explosionsartig in die Höhe geschossen noch hat die deutsche Wirtschaft an internationaler Wettbewerbsfähigkeit verloren. Weder ist die Konjunktur eingebrochen noch ist eine Pleitewelle übers Land gerollt. Dabei herrschte an lautstarken Warnungen, düsteren Prophezeiungen und Horrorszenarien der Experten wie der Lobbyisten kein Mangel. Bis zuletzt wehrte sich die Wirtschaft, tatkräftig unterstützt von Verbänden, Instituten sowie der Union und den Liberalen, gegen die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohnes.
Doch als die vorige Große Koalition ihn auf Drängen der SPD im August 2014 einführte und auf 8,50 Euro pro Stunde festsetzte, steckte die deutsche Wirtschaft dies weitestgehend problemlos weg. Zwar versuchten nicht wenige Arbeitgeber in der Anfangszeit, mit allerlei Tricks die gesetzliche Regelung zu umgehen, zwar gibt es noch immer Versuche, die Vorgaben zu unterlaufen und Beschäftigte weiterhin mit sittenwidrigen Dumpinglöhnen abzuspeisen, doch grundsätzlich infrage gestellt wird er nicht mehr, selbst die Vereinigung der Arbeitgeberverbände lehnt diese Verstöße ab und fordert die Unternehmen zur Rechtstreue auf.
Die erste Erhöhung ging reibungslos über die Bühne
So ging denn auch eine erste Erhöhung auf 8,84 Euro zum 1. Januar 2017 reibungslos über die Bühne und trug zur weiteren Akzeptanz der gesetzlichen Regelung bei, von der vor allem Arbeitnehmer in Ostdeutschland, geringfügig Beschäftigte, Personen ohne Berufsausbildung sowie Frauen profitieren.
Nun wird der Mindestlohn erneut erhöht. Die unabhängige Kommission, in der Arbeitgeber, Gewerkschaften und unabhängige Wissenschaftler vertreten sind, hat eine Anhebung in zwei Stufen auf 9,19 Euro zum 1. Januar 2019 und auf 9,35 Euro zum 1. Januar 2020 beschlossen – einstimmig. Und die Prognose sei gewagt: Auch wenn die Arbeitgeber jammern, wird es die Wirtschaft nicht umwerfen. Im Gegenteil: Ein Ende des Booms ist nicht in Sicht, es herrscht Fachkräftemangel, ganze Branchen suchen händeringend Mitarbeiter. Es sind gute Zeiten für Arbeitnehmer. Das bleibt auch für die Geringverdiener nicht ohne Folgen. Die hohen Tarifabschlüsse entfalten auch im Niedriglohnbereich ihre Wirkung. Was wiederum die Binnenkonjunktur stimuliert. Wer mehr Geld in der Tasche hat, kauft auch gerne ein.
Der Mindestlohn verhinderte eine weitere soziale Spreizung
Die Einführung des Mindestlohnes war unabdingbar, um das Auseinanderdriften der Gesellschaft und eine weitere soziale Spreizung zu verhindern. So wichtig und notwendig die Hartz-Reformen der rot-grünen Regierung Schröder auch waren, um den Arbeitsmarkt zu modernisieren und flexibilisieren, so litten sie doch von Anfang an unter dem Makel, dass es im Niedriglohnbereich unter Umständen lukrativer war, nicht zu arbeiten statt zu arbeiten. Der Abstand zwischen den Sozialleistungen und dem Lohn war zu gering. Erst die Einführung des Mindestlohnes beendete mit fast zehnjähriger Verspätung diesen Missstand. Von Löhnen um die fünf Euro, die damals in einzelnen Branchen gang und gäbe waren, kann man nicht leben. Nun nähert sich die Untergrenze langsam der Zehn-Euro-Marke, was nicht ohne Folgen für das Lohngefüge in anderen Branchen bleibt.
Der Mindestlohn wirkt. Und doch gibt es weiter Debatten. So reicht er in den Großstädten, wo die Mieten stark gestiegen sind, kaum aus, um den Lebensunterhalt zu bestreiten, es gibt etliche Ausnahmen, zudem ist er kein geeignetes Mittel im Kampf gegen die drohende Altersarmut. Nach Berechnungen wären für Vollbeschäftigte mindestens 12, 50 Euro pro Stunde nötig, um eine Rente zu bekommen, die oberhalb des durchschnittlichen Niveaus der Grundsicherung liegt. Insofern gibt es für die Mindestlohn-Kommission auch in den nächsten Jahren noch viel zu tun.