Oft haben Ziele für Terroristen eine symbolische Bedeutung. Das war schon 2001 so, als El Kaida am 11. September mit dem World Trade Center in New York und dem Pentagon bei Washington Symbole der wirtschaftlichen und militärischen Macht der USA angriff. Auch der „Islamische Staat“ spielt mit Symbolik: Die Anschläge auf Feierlichkeiten anlässlich des französischen Nationalfeiertages in Nizza oder auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin sind nur zwei Beispiele. Nicht zuletzt geht es Terroristen um die Macht der Bilder, die nach den Anschlägen um die Welt gehen. Daher sondieren sie mögliche Anschlagsorte mit Bedacht. In diesem Jahr wählten die Attentäter etwa den Triumphbogen in Paris oder den Big Ben in London als Kulisse für ihre blutigen Dramen. Ein Regionalzug bei Würzburg gehört nicht in diese Kategorie. Und das ist alles andere als beruhigend.
Denn das Axt-Attentat passt nicht ins Schema. Kein Großereignis, kein besonderer Tag, kein bildgewaltiger Anschlagsort – nicht einmal die Alte Mainbrücke mit den vielen Kirchtürmen im Hintergrund.
Täter untypisch, Radikalisierungsverlauf unklar
Auch der Täter passt nicht ins Raster von Experten und Ermittlern. Der 17-Jährige war bei Pflegeeltern untergekommen, hatte eine Lehrstelle in Aussicht, galt als vorbildlich integriert. Hinweise auf eine psychische Erkrankung lagen – anders als in vielen Terroristenbiografien – ebenso wenig vor wie Erkenntnisse über persönliche Kontakte in die dschihadistische Szene.
Was war der Auslöser für seine Tat? Wie hat er sich radikalisiert? Gelang es Terroristen tatsächlich, nur über das Internet einen unauffälligen jungen Mann mit ihrer wirren Ideologie und ihren pseudoreligiösen Versprechungen zu einem Werkzeug ihres Kampfes gegen sogenannte Ungläubige zu machen? Und wenn ja, in welchem Zeitraum? Die Erkenntnis, dass es der „Islamische Staat“ geschafft hat, von seinen schrumpfenden Bastionen in der arabischen Welt aus muslimische Flüchtlinge zu einem Anschlag in der fränkischen Provinz anzustiften, würde dem Bedrohungsszenario jedenfalls noch einmal eine andere Qualität verleihen.
Nur der Generalbundesanwalt kennt Antworten
Nicht nur der Attentäter selbst, auch die weiteren Hintergründe des Anschlags bleiben rätselhaft. Wer ist der mutmaßliche IS-Kontaktmann, von dem der 17-Jährige bis kurz vor seiner Tat über einen Chat Anweisungen erhielt? Handelt es sich dabei um dieselbe Person, die eine knappe Woche später den Selbstmordattentäter von Ansbach steuerte? Sind deutschen Sicherheitsbehörden darüber hinaus weitere Versuche der Terrormiliz bekannt, Anhänger in Deutschland über Chat-Kontakte zu Anschlägen anzustiften? Dies sind nur einige Fragen, die noch ungeklärt sind. Antworten kennt – wenn überhaupt – nur die Generalbundesanwaltschaft. Seit einem knappen Jahr schickt diese Redaktion regelmäßig einen Fragenkatalog an die Ermittler nach Karlsruhe. Antworten blieben mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen bislang aus.
Dafür muss man einerseits Verständnis haben, andererseits ist es auch an den Behörden, verloren gegangenes Vertrauen in ihre Arbeit wiederherzustellen. Vor allem die vielen Versäumnisse im Fall des Attentäters von Berlin, Anis Amri, wiegen hier schwer. Die Wut, die manchen überfällt, wenn sich nach einem Anschlag herausstellt, dass der Täter den Behörden bekannt war, ist legitim. Auch wenn nicht jeder Gefährder rund um die Uhr bewacht werden kann.
Mit Transparenz kann es den Behörden aber gelingen, das Sicherheitsgefühl, das im Sommer 2016 so gelitten hat, zu stärken. Der Staat muss immer wieder erklären, wie er seine Bürger vor Terroristen schützt. Dabei muss jedem klar sein, dass es die absolute Sicherheit nicht gibt. Der 18. Juli 2016 hat deutlich gezeigt: Der Terror kann jeden überall und zu jeder Zeit treffen. Rückblickend hat damit auch das Würzburger Axt-Attentat eine gewisse Symbolkraft angenommen.