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Leitartikel Dem Gewinn mehr als der Gesundheit verpflichtet
Gisela Rauch
 |  aktualisiert: 20.05.2017 04:06 Uhr

Das Fehlen des Narkosemittels Remifentanil – das Mittel der Wahl bei ambulanten Operationen – hat bundesweit Schlagzeilen gemacht. Und das ist gut so. Es ist allerhöchste Zeit, dass die Aufmerksamkeit auf einen elementaren Systemfehler unseres Gesundheitssystems gelenkt wird. Er besteht darin, dass unsere Regierung es bisher unterlassen hat, Pharmakonzerne bei Strafandrohung zur Lieferung wichtiger Medikamente zu zwingen.

Der jetzt öffentlich gemachte Mangel an Remifentanil ist ja beileibe kein Ausnahmefall. Ob in Unterfranken oder der Uckermark, in Ostfriesland oder Oberfranken – überall in Deutschland gehören Lieferengpässe oder gar Lieferstopps wichtiger Medikamente zum Alltag von Apothekern und Ärzten. Nicht nur Narkosemittel fehlen da plötzlich – auch wichtige Antibiotika, unverzichtbare Impfstoffe, dringend benötigte Krebsmedikamente oder Schmerzmittel sind von einem Monat auf den anderen nicht mehr in ausreichender Menge oder überhaupt nicht mehr zu bekommen. Solche Engpässe treten viel häufiger auf als früher. Wieso kann das passieren in einem Land, das sich rühmt, seinen Bürgern eines der besten Gesundheitssysteme der Welt zu bieten?

Ein Grund ist die Globalisierung. Die meisten großen Pharmakonzerne, von denen deutsche Patienten viele ihrer Medikamente bekommen, sind weltweit aufgestellt und operieren über Landesgrenzen hinweg. Ihre Zentralen lassen sie in den Industrieländern, ihre Hauptabnehmer sitzen ja dort – aber die Produktionsstätten haben die Pharmariesen schon längst verlagert etwa nach Albanien, Bangladesch oder China. In Länder also, in denen die Umweltschutzauflagen bei der Produktion chemischer Stoffe weniger streng sind als hier, in Länder, in denen die Sicherheitsauflagen laxer sind und die Mitarbeiter praktischerweise auch noch für Billiglöhne arbeiten. Von GlaxoSmithKline, eben jenem britischen Konzern, der das in Deutschland dringend benötigte Remifentanil herstellt, ist bekannt, dass er lange in einer „Horror-Fabrik“ (Spiegel) in Puerto Rico produzieren ließ, in der „chaotische Zustände“ (Spiegel) herrschten.

Das heißt nun noch lange nicht, dass Konzernprodukte für Deutschland schlecht sein müssen – was hier landet, wird kontrolliert. Es lässt aber vermuten, dass so ein Konzern sich vor allem einem Ziel verpflichtet fühlt – und dieses Ziel heißt Gewinnmaximierung. Wer ausschließlich Gewinnmaximierung im Blick hat, produziert der Rentabilität wegen wichtige Basisstoffe nicht in mehreren Werken, sondern nur in einem – und nimmt beim Ausfall der einzigen Produktionsstätte dann eben billigend Lieferschwierigkeiten in Kauf.

Wer aber ausschließlich das Gewinnstreben der global aufgestellten Pharmakonzerne verantwortlich macht für Lieferausfälle, greift zu kurz. Gesundheitswissenschaftlern zufolge haben die deutschen Kassen in den letzten Jahren die Preise im Markt über Rabattverträge stark gedämpft. Damit haben sie natürlich indirekt Druck auf die Pharmafirmen ausgeübt, haben die Konzerne also mehr oder weniger auch genötigt, möglichst preisgünstig zu produzieren.

Was muss, was kann die Politik jetzt tun, um zu verhindern, dass in Deutschland weiterhin dringend benötigte Medikamente zeitweise nicht zu bekommen sind?

Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft hat darauf eine eindeutige Antwort: Das Arzneimittelgesetz müsse geändert werden, fordern die Kommissionsmitglieder – und zwar dahingehend, dass ins Gesetz geschrieben wird, dass der Hersteller seine Produkte liefern muss und dass dann, wenn er dies nicht kann, Länderbehörden eingreifen und Sanktionen aussprechen dürfen.

Das klingt nach einer sinnvollen Lösung. Bestürzend dabei ist, dass diese Vorgehensweise von deutschen Ärzten und Apothekern schon seit Jahren gefordert wird – vergeblich. Kann es sein, dass unser Bundesgesundheitsminister das Problem des Medikamentenmangels bisher einfach nicht ernst genommen hat?

 
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