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Leitartikel: Dem Antisemitismus entgegentreten
Von RUDI WAIS red.politik@mainpost.de
 |  aktualisiert: 27.01.2015 20:50 Uhr

Das Lied ist schon ein paar Jahre alt, aber das macht es nicht besser. „Du nennst mich Terrorist, ich nenn Dich Hurensohn“, textet der Offenbacher Rapper „Haftbefehl“ darin, mit bürgerlichem Namen Aykut Anhan. „Ich geb' George Bush 'n Kopfschuss – und verfluche das Judentum.“ Es sind Zeilen wie diese, die das Wort „Jude“ auf Pausenhöfen wieder zu einem gebräuchlichen Schimpfwort gemacht haben. Aber es sind keineswegs nur Neonazis oder junge Männer mit muslimischem Hintergrund wie Anhan, die gegen Juden pöbeln und Israel, die einzige stabile Demokratie in einer instabilen Region, auch noch für den Terror verantwortlich machen, mit dem die palästinensische Hamas das Land überzieht. Zwischen 15 und 20 Prozent der Deutschen haben nach verschiedenen Studien latent antisemitische Ansichten – über alle Altersgruppen und soziale Schichten hinweg. Ein alarmierender Wert!

So berührend die Reden rund um den Jahrestag der Befreiung von Auschwitz auch gewesen sein mögen: Sie haben einen Teil der deutschen Wirklichkeit ausgeblendet. Ein Land, in dem Synagogen, jüdische Schulen und Gemeindehäuser 70 Jahre nach Kriegsende noch immer von der Polizei geschützt werden müssen, in dessen Hauptstadt ein Rabbiner auf offener Straße brutal zusammengeschlagen wird und in dem Eltern ihren Söhnen die Kippa abnehmen, wenn sie aus dem Haus gehen, kann nicht so tun, als sei Antisemitismus nur das Problem einiger weniger.

Das Argument, man könne Israels Politik sehr wohl kritisieren, ohne dabei gleich ein Judenfeind zu sein, sticht in vielen Fällen nicht mehr. Zum einen sind die Grenzen ohnehin fließend, zum anderen hat sich in den sozialen Netzwerken, aber auch in Tausenden von Hassmails an die israelische Botschaft in Berlin eine Kultur des Zorns etabliert, die in ihrer alles verurteilenden Aggressivität schon lange nicht mehr zwischen dem Staat Israel und den Menschen, die in diesem Staat leben, unterscheidet. Parolen wie „Hitler, wo bist Du?“ und „Kindermörder, Kindermörder“ sind hier die Regel und nicht die Ausnahme.

Vor allem bei jungen Deutschen bleibt das nicht ohne Folgen: Mehr als die Hälfte der 18- bis 29-Jährigen denkt heute schlecht über Israel, das Land der Opfer – während umgekehrt zwei von drei Israelis nach einer gerade erst veröffentlichten Umfrage der Bertelsmann-Stiftung vom Land der Täter ein ausgesprochen positives Bild haben. Paradoxer geht es kaum.

In diesem Jahr jährt sich die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel zum 50. Mal – mitten in einer Phase wachsender Entfremdung, die die deutsche Politik beunruhigen muss. Das diffuse Unbehagen, das vielen der über 100 000 Juden hier begegnet, die Vorurteile und die verbale Gewalt, lassen sich zwar nicht mit der Situation in Frankreich oder Ungarn vergleichen, wo der Antisemitismus immer bedrohlichere Züge annimmt und Tausende von Familien inzwischen nach Israel ausgewandert sind. Die Sätze des neuen Vorsitzenden des Zentralrates der Juden, Josef Schuster, nach den Attentaten von Paris sollten allerdings auch den Deutschen eine Warnung sein, Antisemitismus entschiedener entgegenzutreten: „Juden sind Seismographen einer Gesellschaft. Wenn sie sich gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen, müssen die Alarmglocken läuten – bei der nicht-jüdischen Gesellschaft!“

 
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