Die Strategie ist uralt. Aber sie funktioniert noch immer. Um sich Enttäuschungen zu ersparen, hängt man im Vorfeld eines Ereignisses die eigenen Erwartungen so niedrig, dass alles, was ein wenig mehr ist als Nichts, schon als Erfolg zählt. Genauso hat es die Bundesregierung vor der Washington-Reise der Bundeskanzlerin gemacht. Schon Tage vor dem Treffen mit US-Präsident Donald Trump wurde breit gestreut, dass dabei nichts herauskomme, weil der Herr im Weißen Haus hart bleiben und sowohl bei den Handelszöllen als auch beim Atomabkommen mit dem Iran kein Jota von seiner Position abrücken werde. Als Erfolg galt danach, dass Trump Merkel im Gegensatz zum letzten Mal die Hand geschüttelt und freundliche Worte gefunden habe. Man wird bescheiden.
In der Sache aber hat die Regierung mit ihrer düsteren Prognose Recht behalten. Die Kanzlerin kam mit leeren Händen aus Washington zurück. In Berlin wie in Brüssel geht man davon aus, dass der US-Präsident schon am morgigen Dienstag die Strafzölle auf Stahl und Aluminium aus Europa verhängen und demnächst einseitig aus dem Atomabkommen mit dem Iran aussteigen wird. Als schwacher Trost für Merkel bleibt, dass es nicht an ihr gelegen hat. Auch der zuvor von Trump mit größtem Pomp empfangene französische Staatspräsident Emmanuel Macron erreichte nichts und biss ebenfalls auf Granit.
Alte Freundschaften gelten unter Trump nichts
Deutschland wie Europa müssen sich auf eine Zeitenwende im transatlantischen Verhältnis einstellen. Unter Trump gelten alte Freundschaften und Traditionen nichts, er macht ernst mit seiner „Amerika-first“-Politik, die darauf zielt, die angebliche unfaire Behandlung der USA durch internationale Abkommen und die globalen Handelsströme zu beseitigen und die Lasten gerechter zu verteilen.
Diese Strategie trifft Deutschland gleich doppelt – und damit doppelt empfindlich. Wie kaum ein anderes Land der Welt profitiert Deutschland von der Globalisierung und den offenen Märkten, als Exportweltmeister gehört es zu den ökonomischen Schwergewichten. Gleichzeitig hat es sich auf die militärische Stärke der USA verlassen und das Engagement der US-Armee in der Nato als Naturgesetz betrachtet.
Wirtschaftliche Stärke bei militärischer Schwäche und Betonung der multilateralen Diplomatie vom Klimaschutz bis zum Abkommen mit dem Iran – das „Berliner Modell“, das bislang äußerst erfolgreich war, wird von Trump nicht nur infrage gestellt, sondern praktisch zertrümmert. Die Strafzölle treffen Deutschland empfindlich, gleichzeitig erhöht Trump den Druck, sich noch stärker als bisher militärisch zu engagieren und die Rüstungsausgaben massiv zu erhöhen.
Unmittelbare Auswirkungen auf die deutsche Innenpolitik
Das schlägt unmittelbar auf die Innenpolitik zurück: Schon fordert Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in den laufenden Etatverhandlungen bis 2021 zwölf Milliarden Euro mehr und nicht nur 5,5 Milliarden. Sollte sie das Geld nicht bekommen, droht sie mit der Streichung internationaler Beschaffungsvorhaben, womit Deutschlands Ruf als verlässlicher Partner auf dem Spiel steht. Hinzu kommt ein weiteres Argument: Weil Deutschlands Wirtschaft so stark wächst, sinkt trotz Erhöhung des Wehretats sein Anteil am BIP. Das ist Wasser auf den Mühlen Trumps.
Die Zeiten werden ungemütlich. Sich auf seinen wirtschaftlichen Erfolgen auszuruhen, reicht nicht mehr. Weil Trump auch im Weißen Haus wie ein Geschäftsmann agiert und Politik ausschließlich nach dem Kosten-Nutzen-Prinzip mit der Suche nach dem eigenen Vorteil betreibt, präsentiert er nun die Rechnung. „Weltpolizist“ wollen die USA nicht mehr sein, militärischen Schutz gibt es, wenn überhaupt, nicht mehr umsonst. Stattdessen muss Deutschland auch politisch mehr Verantwortung übernehmen. Das wird teuer. Und unbequem.