Zwei Paukenschläge beenden die parlamentarische Sommerpause und läuten das letzte Jahr vor den Bundestagswahlen 2017 ein: Am Sonntag wird in Mecklenburg-Vorpommern gewählt, zwei Wochen später in Berlin. In Normalzeiten würden die Urnengänge in dem strukturschwachen Flächenstaat im Nordosten und der ebenfalls wirtschaftlich auf tönernen Füßen stehenden Hauptstadt kaum auf größeres Interesse stoßen. Doch die Zeiten sind nicht normal. Vielmehr gelten die Wahlen als wichtige Stimmungstests, die Aufschluss geben über die politische Großwetterlage und mögliche Bündniskonstellationen.
Und da sieht es für die beiden großen Volksparteien, die in beiden Ländern seit vielen Jahren in einer Großen Koalition unter SPD-Führung gemeinsam regieren, ziemlich düster aus. Nach allen Umfragen drohen sowohl den Sozial- wie den Christdemokraten herbe Stimmenverluste, mehr noch: Keine Partei wird wohl mehr die 30-Prozent-Marke erreichen, sondern deutlich darunter bleiben.
Was sich bereits im Frühjahr sowohl in Baden-Württemberg wie in Sachsen-Anhalt angedeutet hat, setzt sich im Herbst im Nordosten fort: Die Erosion der Volksparteien ist bereits so weit fortgeschritten, dass es nicht einmal mehr für eine Große Koalition reicht. Neue Konstellationen sind notwendig.
In Baden-Württemberg regiert bereits ein Grüner, in Thüringen ein Linker. In Mecklenburg-Vorpommern wie in Berlin könnte die völlig neue Situation vorliegen, dass gleich vier Parteien mit Werten knapp über und knapp unter 20 Prozent Kopf an Kopf beieinanderliegen – an der Küste SPD, CDU, AfD und Linke, in der Spree-Metropole SPD, CDU, Grüne und Linke.
Schon ist von italienischen, belgischen oder skandinavischen Verhältnissen die Rede. Die Tatsache, dass es weder klare Sieger noch klare Verlierer gibt, weder Starke noch Schwache, führt zwangsläufig dazu, dass sich die Parteien neutralisieren und somit gegenseitig schwächen. Komplizierte Koalitionsverhandlungen sind die Folge, die Regierungen sind instabil. Erschwert wird das Ganze dadurch, dass in Schwerin wie in Berlin die SPD-Amtsinhaber Erwin Sellering und Michael Müller wenig Charisma haben, es aber auch ihren CDU-Herausforderern Lorenz Caffier und Frank Henkel an Format fehlt.
Mit der AfD, die nur drei Jahre nach ihrer Gründung mit zweistelligen Ergebnissen in die Länderparlamente Nummer neun und zehn einziehen wird, in Mecklenburg-Vorpommern möglicherweise sogar über 20 Prozent kommt, ist den etablierten Parteien eine Konkurrenz entstanden, die ihre Mehrheitsfähigkeit bedroht und sie zu komplizierten Dreierbündnissen zwingt. Im Osten tut sich die Partei ohnehin viel leichter als im Westen. Die Bindungen der Wähler an die Parteien sind nicht so stark ausgeprägt, das rechts-konservative Gedankengut reicht bis weit in die Mitte der Gesellschaft, wie frühere Wahlerfolge von NPD und DVU belegen.
Die Verlierer der Einheit wie die Verunsicherten und Verängstigten, die sich vor Veränderungen fürchten, die Globalisierung ablehnen und in Ausländern eine Bedrohung sehen, strömen in Scharen zu der Protest- und Alternativpartei. Ein Trend, der mit Verzögerung auch die Bundespolitik erreichen wird. Rom, Brüssel oder Kopenhagen lassen grüßen – Deutschland wird europäischer. Und damit auch sein Parteiensystem.