zurück
Leitartikel: Bundesbürger als potenzielle Verdächtige
Martin Ferber
Martin Ferber
 |  aktualisiert: 11.12.2019 19:00 Uhr

Kurt Beck, der langjährige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und kurzzeitige SPD-Chef, wusste es ganz genau. „Man kann nicht zwei Mal mit demselben Kopf durch dieselbe Wand.“ Sein Ratschlag galt seiner hessischen Parteifreundin Andrea Ypsilanti, die mit Unterstützung der Linken eine rot-grüne Minderheitsregierung bilden wollte – und grandios scheiterte. Kurt Beck ist längst im Ruhestand, doch seine griffige Warnung ist von zeitloser Gültigkeit. Nur wird sie gerne in den Wind geschlagen. So sind sich CDU/CSU und SPD sicher, im zweiten Anlauf ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung auf den Weg gebracht zu haben, das Bestand haben wird, weil es aus ihrer Sicht sowohl den strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes entspricht und die Bürgerrechte schützt, als auch dem lautstarken Ruf der Polizei nach Einführung dieses Instruments zur Verfolgung von Straftaten nachgibt.

Das Gesetz von Justizminister Heiko Maas von der SPD und Innenminister Thomas de Maiziere von der CDU sucht die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit, indem es die Speicherfrist für Verbindungsdaten auf lediglich zehn Wochen verkürzt, die der Standortdaten sogar auf nur vier Wochen, die Nutzung von einem richterlichen Vorbehalt abhängig macht und lediglich auf Fälle schwerster Kriminalität beschränkt. Das ist unbestritten ein gewaltiger Fortschritt im Vergleich zum ersten Gesetz, den Karlsruher Richtern sei Dank für ihren beharrlichen Kampf um die Verteidigung der Bürgerrechte.

Am Grundproblem der Vorratsdatenspeicherung ändert allerdings auch der deutlich entschärfte und begrenzte Neuanlauf nichts. Wieder werden 80 Millionen Bundesbürger ausnahmslos zu potenziellen Verdächtigen gestempelt, deren Verbindungs- und Standortdaten ohne Vorliegen eines konkreten Tatverdachts anlasslos gespeichert werden. Wieder erliegt die Politik dem Irrglauben, dass ein Mehr an gespeicherten Daten automatisch zu einem Mehr an Sicherheit führt. Wieder gibt die Politik dem Druck der Sicherheitsbehörden nach, alles zu erlauben, was technisch möglich ist, um nicht dem Vorwurf ausgesetzt zu werden, die innere Sicherheit gefährdet zu haben.

Dabei ist Deutschland auch ohne Vorratsdatenspeicherung eines der sichersten Länder der Welt. Und wieder kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Geheimdienste Zugriff auf die gespeicherten Daten haben und für ihre Zwecke nutzen. Paradox, aber wahr: Der gute alte Brief genießt den vollen Schutz des Grundgesetzes, die Mail und SMS hingegen nicht.

Daten, einmal in der Welt, verschwinden nicht mehr, seitdem die Speichermöglichkeiten praktisch unbegrenzt sind. Das aber widerspricht nicht nur dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, wie selbst der Justizminister zugibt, sondern auch der Grundrechtscharta der EU. Aus genau diesem Grunde hat eben erst der EuGH das sogenannte „Safe-Harbour-Gesetz“ verworfen. Das Recht der Bürger, über ihre personenbezogenen Daten zu verfügen, hat oberste Priorität. Geben sie diese bei Amazon, Facebook oder Google preis, ist dies ihre freiwillige Entscheidung. Das aber ist kein Freibrief für eine staatlich verordnete anlasslose Massenspeicherung aller Verbindungsdaten. So wird auch dieses Mal Karlsruhe das letzte Wort haben.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Martin Ferber
Amazon
Andrea Ypsilanti
Bundesverfassungsgericht
CDU
Gerichte (Recht)
Heiko Maas
Kurt Beck
Minderheitsregierungen
SPD
Vorratsdatenspeicherung
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top