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Leitartikel: Buhmann Weselsky
Tilmann Toepfer
Tilman Toepfer
 |  aktualisiert: 11.12.2019 10:21 Uhr

Zum Streik der Lokführer fällt mir spontan eines ein: Es reicht jetzt. Nein, nicht der Streik. Die allgemeine Hetzjagd auf die GDL und ihren Chef Claus Weselsky muss beendet werden. Wir dürfen nicht mit denen heulen, die wie eine Meute Wölfe über den „harten Hund“ (Weselsky) herfallen, der angeblich das ganze Land lahmlegt. Ihn persönlich haftbar macht, dass Millionen Deutsche stundenlang auf zugigen Bahnsteigen herumstehen müssen und sich dort, so die Botschaft, das Zipperlein oder Schlimmeres holen.

Wir sollten uns auch nicht im Kaffeesatzlesen üben, um zu ergründen, warum der „durchgeknallte Chef einer Kleingewerkschaft ein ganzes Land als Geisel nimmt“, wie wir so oder ähnlich lesen und hören mussten. Seriösen Medien verbietet es sich, den Mann dergestalt in den „Focus“ zu nehmen, dass die Öffentlichkeit aus der Zeitung erfährt, wo und wie der „aktuell wohl meistgehasste Deutsche“ wohnt. Gnadenlos ist das, fast ein Aufruf zur Selbstjustiz. Schluss damit.

Man kann ja der Meinung sein, dass der Streik der Lokführer unverhältnismäßig ist und deshalb vorzeitig beendet werden muss. Deswegen kamen die Richter am Arbeitsgericht Frankfurt am Donnerstag zusammen, um eine Eilentscheidung zu treffen. Unabhängig von dem Richterspruch aber gilt: Die Kirche muss im Dorf bleiben.

Das Streikrecht ist nun mal ein Grundrecht, und ein Arbeitskampf immer auch ein Machtkampf – manchmal eben auch zwischen konkurrierenden Gewerkschaften. Das von Arbeitgeberverbänden vehement geforderte und von Arbeitsministerin Andrea Nahles schnell zusammengezimmerte Gesetz zur Tarifeinheit setzt kleine Gewerkschaften massiv unter Druck. Wenn sie ihre Basis nicht verbreitern, dann haben sie bald nichts mehr zu melden. Aus Weselskys Sicht ist es da nur logisch, die bei der GDL organisierten Bordbegleiter und Speisewagenkellner wirksam vertreten zu wollen.

Man kann der GDL schließlich nicht vorwerfen, dass sie klein und kampfwillig ist. Große Gewerkschaften sind nicht automatisch besser, sie neigen vielmehr zur Trägheit. Das mag mit ein Grund sein, dass die Reallöhne jahrelang gesunken sind und sich die Arbeitsbedingungen in vielen Branchen verschlechtert haben. Nachvollziehbar, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die das nicht weiter hinnehmen wollen, sich kleinen, aktiveren Gewerkschaften anschließen. Getreu dem Spruch: Konkurrenz belebt das Geschäft.

Machen wir uns doch nichts vor: Ein Streik ohne massiven Druck auf die Arbeitgeber ist von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Den Bahnkonzern schmerzt ein Ausstand nur, wenn Verluste in beträchtlicher Höhe entstehen. Und dazu kommt es nur, wenn konsequent gestreikt wird. Dann leiden unvermeidlich die Fahrgäste, man muss das trotz allen Mitgefühls für die auf Bahnhöfen gestrandeten Reisenden ganz nüchtern feststellen.

Übrigens streiken gerade die Bediensteten eines Unternehmens, das lange Zeit durch und durch staatlich war. Lokführer waren Beamte, an ihnen lag es nicht, wenn der Zug nicht fuhr. Dann kam die Politik und privatisierte. Und in der Privatwirtschaft aber darf der Arbeitnehmer alle legalen Mittel einsetzen, um seine privaten Interessen gegen die anderer durchzusetzen. Etwa gegen die Interessen der Anteilseigner der Deutschen Bahn.

 
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  • Wiara
    Die niedrigen Lohnabschlüsse für Leiharbeiter waren zu Anfang nur deshalb möglich, weil diese Arbeitgeber sich die Gewerkschaften - oft kleine christliche - heraussuchten, mit denen sie Vereinbarungen für alle ihre Mitarbeiter abschlossen. Dies wurde erst durch einschlägige Gerichtsurteile gestoppt.

    Was die Privatisierung der Bahn betrifft: deren Manager wissen sehr genau, dass sie de facto für einen Staatsbetrieb tätig sind, weswegen alle Einkommensausfälle letzten Endes durch den Steuerzahler abgesichert sind. So kann es ihnen gleichgültig sein, wie viele Verluste ihre Haltung einbringt.
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  • al-holler@t-online.de
    "Und dann kam die Politik und privatisierte" beliebt sich der Leitartikelschreiber geradezu vorwurfsvoll von sich zugeben.
    Wahrscheinlich ist er einfach zu jung oder er hat nach dem Motto "was interessiert mich mein Geschwätz von gestern" einfach vergessen, dass seinerzeit neben - und da hat er nicht ganz unrecht - großen Teilen der Politiker ALLER PARTEIEN vor allem auch die Presse vehement der Privatisierung der DB das Wort redeten, als ob damit goldene Zeiten anbrechen würden. Vergessen wird, dass jene - auch einige Politiker!! - , die damals gerade in den sensiblen Bereichen wie eben z.B. dem Lokfahrdienst vor der totalen Entbeamtung warnten und von den Befürwortern - auch weiten Teilen der Presse - als rückwärtsgewandte Gestrige in die Ecke gestellt wurden.
    Fazit: Es ist zunächst mal nicht mehr als eine mit der üblichen billigen Politiker-Schelte garnierte EINZELNE Meinung, die er da vertritt, allerdings mit dem Privileg, dass er sie über die Zeitung verbreiten darf.
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  • Wiara
    ... ist eine exakte Wissenschaft. Auch ich hatte damals keinerlei Verständnis dafür, dass die Bahn "privatisiert" wurde, denn sie war ja nicht ohne Kosten einfach aus dem Nichts entstanden, sondern aus Mitteln, für die der Steuerzahler aufgekommen war. Aber aufzurechnen hilft jetzt nichts.

    Ich finde den Kommentar sehr gut. Vielleicht auch der Tatsache geschuldet, dass die "Privatisierung" von journalistischer Arbeit ebenfalls immer weiter voranschreitet? Es soll ja Zeitschriften geben, die den größten Teil der Redaktion entlassen wollen und ihre Artikel nur noch von freien Mitarbeitern verfassen zu lassen.

    Tatsache ist doch, dass damals die Politiker sich schon längst auf Gewerkschafter verlassen konnten, die nur ihre eigenen Interessen und nicht die ihrer Mitglieder vertraten. Was den Punkt angeht, dass die GDL daran gehindert werden soll, ihre eigenen Mitglieder zu vertreten, die keine Lokführer sind:
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