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Leitartikel Bis die Alpen verglühen
Von Christian Imminger red.politik@mainpost.de
 |  aktualisiert: 02.06.2019 02:11 Uhr

Als heute vor 150 Jahren ein paar Bergbegeisterte in einem Münchner Wirtshaus zusammensaßen und den Deutschen Alpenverein (DAV) gründeten, hatte Thomas Cook, der Erfinder des Pauschaltourismus, seine erste organisierte Alpenreise bereits durchgeführt. Es war der Beginn eines unglaublichen Booms, der das höchste Gebirge Europas bis hinauf zum Hauptkamm erbeben lassen sollte.

Dabei gab es wie bei so vielen Anfängen durchaus hehre Ziele: Cook wollte die Menschen aus den Städten weg vom Tresen an die frische Luft bringen, die Vereinsgründer Kenntnisse über die Bergwelt verbreiten und fördern und deren Bereisung erleichtern. „Überall soll die Liebe zu den Alpen geweckt und gepflegt werden, überall, wo sich Alpenfreunde finden, soll ein Mittelpunkt für diese geschaffen werden“, so etwa Gründungsmitglied Theodor Trautwein. Doch der Mensch neigt zu zerstören, was er liebt, und diese paradoxe Grunderfahrung der Moderne zeigt sich besonders im Bereich des Alpentourismus, wo mittlerweile 500 Millionen Übernachtungen gezählt werden – pro Jahr.

Wenig übrig von der Erhabenheit und Ursprünglichkeit der Berge

Wer einmal sommers über eine Skipiste abgestiegen, durchs Zillertal oder die in den Hang betonierten Geisterstädte französischer Skigebiete gefahren ist, wird jedenfalls kaum mehr von Ursprünglichkeit und Erhabenheit der Berge reden, um die es damals, zu Beginn der alpinen Begeisterung, noch ging.

„An einem Sommernachmittag ruhend einem Gebirgszug am Horizont (. . .) folgen – das heißt die Aura dieser Berge atmen“, so der Philosoph Walter Benjamin in seinem berühmten Kunstwerk-Aufsatz von 1935, in dem er sogleich auch das Problem und die Ursache für den Verfall ebendieser Aura benennt: Die zunehmende Bedeutung der Massen und deren Bedürfnis, „die Dinge sich räumlich und menschlich 'näherzubringen'“, was eben auch heißt, sich mit dem Bus an einen Aussichtspunkt karren, mit der Gondel auf 3000 Metern fahren zu lassen, um dann ein Instagram-Pic zu machen. Und jeder kennt das ja aus eigener Anschauung selbst von exotischen Reisezielen in aller Welt: Man sucht das Einzigartige, und eigenartigerweise sind schon Touristen da. Es wird eben alles trans- und auch deformiert, daraus gibt es kaum ein Entkommen (es sei denn, man bleibt zu Hause auf dem Sofa), und ein Auskommen müssen die vom Fremdenverkehr abhängigen Betriebe ja auch haben und so weiter. . .

Pseudofolklore und inszenierte Hüttengaudi

Doch angesichts der Bedrohung der Alpen geht es natürlich auch um weit mehr als nur um ein misslungenes Foto, durch das ein anderer Tourist stolpert, den pseudofolkloristischen Schabernack, die inszenierte Hüttengaudi bei künstlichem Alpenglühn, so ärgerlich das alles auch sein mag. Es geht um den Lebensraum von 13 000 Pflanzen und 30 000 Tierarten, eine immerhin noch teilweise erhaltene und zu erhaltende, ursprüngliche Natur, der der Klimawandel schon genug zusetzt und die Schneefallgrenzen steigen lässt. Das scheinen mittlerweile auch Teile der Reisebranche, die auf sanften Tourismus setzen, und selbst die bayerische Staatsregierung mit ihrem „doppelten Riedberger“, wie der BR die Wende im Streit um eine Skischaukel bei Balderschwang nannte, zu begreifen.

Der Deutsche Alpenverein war da schon etwas früher dran. Bereits 1907 wurde die Fremdenindustrie kritisch gesehen, 1927 kommt der Naturschutz beziehungsweise die „Erhaltung der Ursprünglichkeit des Hochgebirges“ in die Satzung, und nun wurde verkündet, keine weiteren Skigebiete und Seilbahnen, aber auch keine neuen Hütten und Wege mehr zu wollen. Vielleicht ist es ja 150 Jahre nach Beginn des Alpenfiebers nicht zu spät.

 
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