Die Innenminister der EU wollten nicht das Flüchtlingsproblem lösen. Es ging nicht um die Frage, was mit den Hilfesuchenden auf den griechischen Inseln, in der Türkei oder in Spanien geschieht – obwohl auch da eine Lösung wahrlich überfällig wäre. Nein, es ging in Luxemburg lediglich um jene 6000 Menschen, die ohne private Rettungsschiffe nicht überlebt hätten. Deutschland öffnet keine Schleusen, um Tausende ins Land zu lassen, sondern gerade mal 225 Menschen in den vergangenen 14 Monaten. 225 Flüchtlinge, die ohne Hilfe ertrunken wären. Das ist alles. Der Bundesinnenminister hat die Debatte, die sich daran – auch in der eigenen Fraktion der Parteien, die das Attribut „christlich“ im Namen tragen – entzündet hat, in Luxemburg als „beschämend“ bezeichnet. Horst Seehofer hat Recht. Weil die Alternative darin bestehen würde, diese Menschen in den Tod zu schicken. Und weil es zynisch wäre, ein paar Tausend Tote in Kauf zu nehmen, um damit andere davon abzuschrecken, in die Schiffe der Schlepper zu steigen. Eine EU, die nicht mehr als solche Menschenverachtung zu bieten hat, verliert jedes Recht, sich auf hehre Werte zu berufen.
Das Treffen war eine Enttäuschung
Das Luxemburger Treffen war eine Enttäuschung. Eine gute Vereinbarung, die viele Klauseln gegen Missbrauch, gegen eine dauerhafte Belastung einzelner Staaten und gegen Aushöhlung durch Nicht-Asylberechtigte bietet, reicht nicht, um die Regierungen dieser Gemeinschaft zu einem entschlossenen Einschreiten zu bewegen? Es stimmt, dass der Moment ungünstig ist, weil zahlreiche Mitgliedstaaten wie Österreich, Portugal oder Spanien keine amtierende Regierung oder Wahlen vor sich haben. Aber für Signale der Zurückweisung des Vierer-Vorschlags reichte es trotzdem? Das ist nicht minder „beschämend“. Zumal alle Beteiligten wissen: Die Union braucht eine neue, gemeinsame Regelung für den Umgang mit Flüchtlingen und Asylberechtigten, aber auch mit jenen, die kommen und zurückgeschickt werden müssen. Bisher wurde nichts erreicht und das behutsame Beispiel Deutschlands, Frankreichs, Maltas und Italiens zerredet. Nein, es ist nicht Europa, das da gerade versagt, sondern eine große Zahl von Mitgliedstaaten, die europäische Solidarität offenbar vor allem dann in den Mund nehmen, wenn es um Fördermilliarden geht.
Wegsehen kann keine Lösung sein
Die viel zu kleine „Koalition der Willigen“, die wohl noch Beistand von einer Handvoll weiterer Länder erhoffen darf, sollte ihren Plan dennoch weiter verfolgen. Und wenn die östlichen Mitgliedstaaten zwar keinen Geretteten aufnehmen, aber in anderer Weise Unterstützung leisten, mag auch das ein Einstieg in eine gesamteuropäische Aufgabenteilung sein. Vorausgesetzt, es hilft, Fluchtgründe zu beseitigen, Schlepper zu bekämpfen, unmenschliche Auffanglager zu verhindern und den Tod im Mittelmeer zu stoppen. Nur eines sollte allen klar sein: Die Zeit des Redens, Abwägens und Blockierens muss zu Ende sein. Weder das Outsourcen der Seenotrettung noch das Weggucken sind eine Lösung.
Europa wird immer für alles mitverantwortlich sein, was in den Meeren vor seiner Haustür passiert. Man würde sich wünschen, dass bei dem Treffen der Staats- und Regierungschefs nächste Woche jemand den Kollegen ins Gewissen redet. Es mag ja richtig sein, wenn jeden Freitag für mehr Klimaschutz demonstriert wird. Aber manchmal würde man sich wünschen, dass die Demonstranten mit gleicher Inbrunst für eine humane Europäische Union eintreten, die die Einhaltung der Menschenrechte nicht auf die eigenen Bewohner begrenzt.